Neubeginn in der Rothschildallee - Roman by Stefanie Zweig

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman by Stefanie Zweig

Autor:Stefanie Zweig
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-7844-8065-7
Herausgeber: LangenMueller


7

Don Juan schreibt nach Hause

Oktober bis Dezember 1949

Frankfurt, den 5. Oktober

Mein lieber Vater, meine geliebte Mama!

Erst als ich ihn einsteckte, ging mir auf, wie sehr Euch mein Brief beunruhigen würde. Ich schäme mich immer noch. So unmittelbar vor den Feiertagen, allein in dieser Stadt, die immer noch eine scheußliche Trümmerwüste ist, und mit den vielen ungebetenen Erinnerungen hat mir das Leben sehr viel mehr zu schaffen gemacht, als ich zu Hause dachte. Schon die Aussicht, Gott um seinen Segen für das neue Jahr in der kümmerlichen Betstube im Baumweg zu bitten (vielleicht erinnert ihr Euch an das Haus, alle anderen Synagogen sind nicht mehr), und der Gedanke an das schäbige Zimmer in der Eppsteiner Straße (Westend), das ich derzeit bewohne, und dass ich mich hauptsächlich von Brot, Wurst und den Beteuerungen der Wirtin ernähren muss, dass sie immer gegen die Nazis gewesen ist und mehr als einmal mit »einem Fuß im KZ gestanden« hat, all das hat mich sehr trübe gestimmt. Ich war finster entschlossen, so wenig Notiz wie möglich von Rosch haschanah zu nehmen. Doch wie du immer sagst, liebe Mutter, der Mensch denkt und Gott lenkt. Mir hat er so energisch befohlen, meiner Weinerlichkeit nicht nachzugeben und am Erew Rosch haschanah in den Baumweg zu gehen, dass ich es tatsächlich tat. Dort ist dann etwas geschehen, über das ich immer noch staune. Sozusagen eines jener kleinen, großen Wunder, mit der wir in unserer Familie im Laufe der Jahre so reich bedacht wurden.

Mein Nachbar in der Synagoge, ein Rechtsanwalt, der die Nazizeit in Holland überlebt hat und nach Frankfurt zurückgekehrt ist, hat die gleiche Angewohnheit wie du, lieber Vater, Fremde aus der Synagoge mit nach Hause zu nehmen, damit sie den Feiertag in jüdischer Umgebung verbringen können. Und fremder als ich an diesem Tag in meiner mir fremd gewordenen Geburtsstadt war, konnte wahrhaftig niemand sein.

Dr. Feuereisen wohnt in der Rothschildallee. Seiner Schwiegermutter gehört das Haus. Er hat dafür gesorgt, dass sie es wiederbekommen hat und jetzt sogar in ihrer alten Wohnung wohnt. Das macht mir mehr Mut für meine Mission hier als das ganze Gequatsche vom Anwalt in Montevideo und sämtliche Ratschläge unserer schlauen Freunde. Dr. Feuereisens Familie ist, berücksichtigt man die Zeit, in der wir leben und was uns Juden seit 1933 geschehen ist, geradezu riesig. Da gibt es zunächst die achtzehnjährige Tochter Fanny (sie wurde während des Kriegs von ihrer Tante Anna versteckt, die aus irgendeinem Grund, den ich noch nicht kapiert habe, nicht jüdisch ist), dann ihre Großmutter Betsy (hat Theresienstadt überlebt und dort ihren Mann, ihre Tochter und ihren Enkelsohn verloren), weiterhin gibt es Betsys neunundvierzigjährigen Sohn Erwin mit Zwillingsschwester Clara und deren Tochter Claudette, die zwar einunddreißig ist, aber mindestens zehn Jahre jünger wirkt. Sie sieht der hübschen Tochter von Goldbaums, mit der Ihr mich ja immerzu verkuppeln wollt (ja, ich habe es gemerkt), unglaublich ähnlich – nur, dass Claudette nicht stottert und auch nicht dauernd von Kleidern und Handtaschen redet. Sie redet ohnehin nicht viel. Ihre dreijährige Tochter Ora, ein schokoladenbraunes Kind mit



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