Nele oder Das zweite Gesicht by Monika Feth

Nele oder Das zweite Gesicht by Monika Feth

Autor:Monika Feth [Feth, Monika]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendroman
Herausgeber: PeP eBooks
veröffentlicht: 2010-06-23T22:00:00+00:00


16

Nele schreckt aus dem Schlaf, gelähmt von Entsetzen, das Flackern des Feuers noch vor Augen. Es dauert eine Weile, bis sie sich zurechtfindet.

Da ist das Fenster, der Schrank, der Tisch. Da ist Tims Bett. Und sein Atmen, lange, regelmäßige Züge.

Nele schiebt die Füße aus dem Bett, bewegt die Zehen auf dem kalten Holzboden auf und ab, beruhigt sich allmählich.

Barfuß geht sie ins Badezimmer. Sie macht kein Licht. Beugt sich übers Waschbecken, dreht den Wasserhahn auf und trinkt gierig.

»Stell dich den Bildern, wenn sie das nächste Mal kommen«, hat Herr Krill gesagt. »Lauf nicht weg. Versuche es. Lass sie zu.«

Nele dreht das Wasser wieder ab. »Nein«, sagt sie laut. Sie wischt sich mit den Fingern die Tropfen vom Kinn. »Nein«, wiederholt sie flüsternd.

Manchmal empört sich alles in ihr gegen ihn. Nie weiß sie, woran sie mit ihm ist.

Mal behandelt er sie behutsam und liebevoll, mal ist er abweisend und in sich gekehrt, vergisst sogar für Minuten ganz, dass sie da ist, in seinem Zimmer, ihm gegenüber.

Mal behauptet er: »Ich habe immer Zeit für dich, wenn du mich brauchst«, und dann unterbricht er die Arbeit mit ihr, fährt auf einen Kongress und ist tagelang unerreichbar für sie.

Nele verlässt das Badezimmer, schließt geräuschlos die Tür hinter sich. Als sie sich wieder hinlegen will, richtet Tim sich in seinem Bett auf.

»Katzen«, jammert er. »Lauter Katzen im Fluss. Die können doch gar nicht schwimmen.«

»Du hast geträumt.« Nele drückt ihn sanft aufs Kissen zurück. »Schlaf weiter. Ich bleib ein bisschen bei dir sitzen.«

Sie setzt sich zu ihm auf die Bettkante, verschränkt die Arme vor der Brust.

Es ist eisig. Die Mutter besteht darauf, dass sie bei geöffnetem Fenster schlafen. Selbst bei klirrendem Frost. Sie behauptet, das wäre gesund.

Tim gähnt. Er legt den Arm über Neles Knie und schläft wieder ein.

Der Vorhang ist nicht ganz geschlossen. Er lässt einen Streifen Mondlicht herein, der den Möbeln gespenstische Schatten gibt.

Die Bilder zulassen.

Leicht gesagt.

Herr Krill muss ja keine Angst vor ihnen haben.

Beobachtet Nele bei den Tests, die Finger der einen Hand an der Schläfe, die andere Hand ruhig im Schoß, die Augen halb geschlossen.

Und dann, wenn sie etwas sagt oder tut, das ihn überrascht, das verwunderte Heben der Augenbrauen, ein kaum merkliches Zucken der Lider, ein leises Furchen der Stirn.

Aber kein Wort.

Worte immer nur, um zu fragen, zu fragen und zu fragen.

Nele deckt Tim zu und kehrt in ihr eigenes Bett zurück. Sie wickelt sich in die Decke ein, rollt sich auf die Seite, zieht die Knie an und reibt sich die kalten Beine.

»Versuchskaninchen«, murmelt sie schläfrig. »Das bin ich für ihn. Bloß ein Versuchskaninchen.«

Die Bilder zulassen.

Wo sonst wäre das möglich, wenn nicht hier.

Warum soll sie es nicht mal versuchen? Tim bei ihr im Zimmer. Die Eltern nebenan. Friedrich am Ende des Flurs. Oma und Opa in ihrer Wohnung, nur durch eine Wand von Nele getrennt.

Nichts kann ihr hier etwas anhaben.

Der Vorhang bläht sich im Wind, fällt wieder in sich zusammen, schaukelt sacht hin und her.

Nele starrt ihn an. Auf keinen Fall darf sie die Augen schließen, damit der Schlaf sie nicht überrascht.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.