Natascha by Heinz G. Konsalik

Natascha by Heinz G. Konsalik

Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-29T04:00:00+00:00


Vor einem breiten Haus hielt Luka das Pferdchen an und strich sich über das Gesicht. Am Rande der Stadt war's, und dunkel wurde es. Natascha saß müde neben ihm, sie hatte den Kopf an seine Schultern gelehnt und schien fast zu schlafen.

Luka musterte das Haus. Ein großer Stall war's, und ihn hatte man umgebaut, in lauter kleine Wohnungen und Kämmerchen. Dort hausten jetzt Arbeiter und Traktoristen mit ihren Frauen und Kindern.

Vorsichtig schob Luka den Kopf Nataschas von seiner Schulter weg. Sie wachte dabei auf und sah sich um.

»Wo sind wir?« fragte sie.

»Gleich hast du ein Bettchen«, sagte Luka. »Warte ein Weilchen … ich muß erst über die Miete reden –«

Stöhnend kletterte er wieder vom Kutschbock, nahm seine mächtigen Baumstämme unter die Achseln und humpelte durch die nächste Tür in das langgestreckte Haus.

»Grüß euch, siegreiche Genossen«, schrie er, als er die Tür der ersten Wohnung aufriß. Sein Erscheinen war wie das Niederbrechen einer Lawine. Die Menschen in dem kleinen Zimmer duckten sich, die Kinder krochen hinter die Erwachsenen und die Männer – zwei waren's, kleine, gelbhäutige, schlitzäugige Tataren mit hängenden, dünnen Schnurrbärten – spreizten die Beine, als gälte es, ein störrisches Kamel aufzuhalten.

Luka wartete keinen Gegengruß ab. Er sah sich um. Zwei Betten waren da, und im Zimmer saßen neun Menschen. Ein bißchen wenig Platz war's, zugegeben, aber wenn man zusammenrückte, war das Zimmer groß.

»Ein Bett brauche ich, Genossen«, sagte er. »Nur eins … man soll nicht unbescheiden sein. Das andere dürft ihr behalten. Ihr seid doch einverstanden, liebe Brüder …«

Die beiden Tataren starrten den Riesen an. Ihr Kopf hatte in einer seiner Hände Platz, und mit den Baumstämmen, die er als Krücken benutzte, konnte man Wände einschlagen oder ein ganzes Haus abstützen. Die Kinder steckten die Finger in den Mund, die Frauen schwiegen erschrocken.

»Nur für heute ist's«, tröstete Luka die stumme Klage. »Morgen suchen wir uns ein eigenes Zimmerchen. Aber erst schlage ich dem Beamten vom Wohnungsamt den Schädel ein. Ist's doch in eurem Sinn, Genossen, was?« Er lachte dröhnend, und die Tataren blickten scheu zur Decke, ob sie nicht einstürzte. Dann lächelten sie voller asiatischen Gleichmuts. Wie Frösche sahen sie aus, die abends im Schilf quaken.

»Nur einen Augenblick«, sagte Luka zufrieden. »Ich hole nur Nataschka …«

Als er mit ihr zurückkam in das Zimmer, saß jeder der Tataren auf einem Bett, in der Hand einen langen Dolch. Sie lächelten noch immer, und zusammengedrängt in einer Ecke warteten die Frauen und die Kinder. Luka stellte die halb schlafende Natascha an die Türwand und schüttelte den dicken Kopf.

»Aber Genossen«, sagte er fast traurig. »Man kann sich doch friedlich über wichtige Probleme unterhalten. Warum die Messerchen? Ist's doch so, daß ihr durch die Stube fliegt, wenn ich kräftig atme. Warum macht ihr solche Unannehmlichkeiten, Brüder? Nur wegen einer Nacht. Wo bleibt die Nächstenliebe?«

Er stampfte mit seinen Krücken zum ersten Bett. Der kleine Tatar schnellte hoch, aber wie man eine Motte abwehrt, so flatterte er gegen die andere Wand, als ihn der Schlag Lukas traf. Dort sank er zusammen und starrte den Riesen an, als könne er es nicht begreifen.



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