Nachtangst by Oliver Susami

Nachtangst by Oliver Susami

Autor:Oliver Susami [Susami, Oliver]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-11-21T00:00:00+00:00


***

Im großen Mercedes des Bruders fuhren sie zum Elternhaus. Ein zweistöckiges Gebäude in ruhiger Lage, grau und massiv, bedeckt von dunkelbraunen Dachziegeln. Ein Ort der Qual. Ihr Vater hatte das Ding selbst gebaut mit seinen schaufelgroßen Händen.

Vallies Mund wurde trocken, sie sammelte Speichel und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ohne es zu merken, hielt sie die Luft an und geriet in Atemnot. Vielleicht hätte sie doch Monikas Angebot annehmen sollen. Aber nein verdammt! Es gab hier nichts mehr, vor dem man Angst haben musste. Der Schrecken des Hauses verweste in der Erde. Das hier war nicht mehr seins. Er besaß überhaupt nichts mehr. Keinen Besitz, keinen Einfluss, keine Freunde … nichts! Sie und ihr Bruder, sie würden den grauen Klotz verkaufen und nie mehr hierher zurückkehren. Am liebsten würde sie ihn abreißen lassen. Aber das ging schon aus finanziellen Gründen nicht. Sie brauchte das Geld … und ihr Bruder wollte es.

Jetzt standen sie vor der großen, hölzernen Haustür mit den Messingbeschlägen. Rolf kramte nach seinem Schlüssel, seine Frau stand stumm daneben. Stand nur herum und hatte die Hände in den Taschen. Vallie achtete auf ihr Atmen und betastete ihr Handy, dieses kleine schwarze Ding in ihrer Jackentasche. Voll aufgeladen. Ihre Verbindung nach Hamburg.

Zum Schluss hatte er ganz allein in dem großen Haus gewohnt. Einmal die Woche kam die Putzfrau vorbei, mit der er dann über die Qualität ihrer Arbeit und über den angemessenen Lohn stritt. Keine arbeitete lange bei ihm. Zuletzt ernährte er sich von Weißbier, filterlosen Zigaretten und Fertiggerichten. Stundenlang saß er vor seiner gewaltigen Modelleisenbahn und ließ die Güterzüge kreisen. Er hatte sich in den letzten Jahren isoliert, sein Einfluss im Gemeinderat hatte abgenommen. Jüngere waren nachgerückt und der alte Choleriker geriet aufs Abstellgleis. Die Frau war tot, die Kinder riefen nicht an und so war er allein mit all seinem Hass. Hugo, den alten Mischlingsrüden, hatte er totgetreten und im Garten verscharrt. Er ging mit seinen Hunden um, wie mit seinen Kindern. Er schlug sie und er streichelte sie. Und wenn sie aggressiv wurden oder sich vor ihm versteckten, dann trat er sie tot. Hugo war schon der fünfte, der Garten war voller Hundeleichen. Zumindest hatte Gustav Kettnacker nie einen Menschen getötet. Verdammt … nicht einmal da war sie sich sicher.

Rolf schloss die Tür auf und wie ein böser Geist kam ihr der vertraute Geruch entgegen. Es roch nach ihrem Vater, sein Atem, sein Körper. Die Ausdünstungen von Jahrzehnten. In gewisser Weise war er immer noch hier. Hier hatte er seine Spuren hinterlassen. Hier hatte er geschwitzt und gestunken. Hier fielen ihm die Haare aus und hier lösten sich Schuppen seiner Haut. Das ganze Haus war kontaminiert, nie würde sie hier leben können, nie die Sachen berühren können, die er berührte. Es ekelte sie vor dem mit braunem Leder bezogenen Treppengeländer, auf das er so oft seine massige Hand gelegt hatte. Sie mochte nicht einmal den Türknauf anfassen. Und als sie den staubigen, halb zerfallenen Hirschkopf an der Wand sah, da wurde ihr fast schlecht.



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