Nachkommen by Streeruwitz Marlene
Autor:Streeruwitz, Marlene [Streeruwitz, Marlene]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783100744456
Herausgeber: FISCHER, S. Verlag
veröffentlicht: 2014-06-26T00:00:00+00:00
21
Sie starrte dem Mann ins Gesicht. Sie schaute in diesem Gesicht in ihre eigenen Augen. In die Augen, die sie im Spiegel sah. Jeden Morgen. Große runde braune Augen. Das dominant-rezessive Gen war das. Die Mami hatte ganz andere Augen gehabt. Die Mami hatte blaue Augen gehabt. Schmale langgezogene himmelblaue Augen. Katzenaugen. Die Mami hatte Augen wie eine Katze gehabt, und es hatte immer so ausgesehen, als müsse sie ins Licht blinzeln. Aber lächelnd.
Der Mann starrte sie an. Sie standen mitten auf der Treppe, und der Portier kam schon die Stufen herauf und war dabei, sie zu fragen, Platz zu machen. Nicht da im Weg herumzustehen.
Der Mann nahm sie am Arm und zog sie die Treppe hinunter und auf die Straße hinaus. »Es tut mir leid.«, sagte er. »Es tut mir sehr leid.«
Er führte sie vom Hotel weg. Ein schwarzer Mercedes stand da. Die Alarmlichter blinkten. Der Motor lief. »Es ist nämlich kein Parkplatz zu finden. Verstehst du. Jetzt geht dieser Buchmessezirkus schon am Tag davor los. Komm.«
Beim Auto. Er ließ sie los und ging auf die Fahrerseite. Sie zögerte. Er hielt schon die geöffnete Autotür in der Hand. Sie solle einsteigen. »Bitte.«
Sie stand da. Das blinkende Auto vor sich. Hinter ihr. Ein Bus fuhr vor den Hoteleingang. Schob sich neben sie. Hupte den Mercedes an. Sie eilte zur Beifahrertür und stieg ein. »Schweine.«, sagte Martens und fuhr los. Er rollte langsam vom Gehsteig hinunter. Der Bus hupte wieder. Der Mann lächelte. Er würde seine Reifen nicht ruinieren. Seinen Reifendruck. Nur weil ein paar Touristen es eilig hätten. Er wandte sich ihr zu. Dann sah er wieder auf die Straße vor sich. Er lenkte nach rechts.
Er fuhr langsam. Bedächtig. Er sagte, sie solle sich entspannen und jetzt einmal. Jetzt zuerst. Sie führen zu ihm. Zu ihm in sein Haus. Wegen der Messe. Wegen dieser Buchmesse. Sie habe ja keine Ahnung. Es habe keinen Sinn, irgendeinen anderen Ort suchen zu wollen. Und außerdem. Sie. Cornelia. Sie sei ja nun berühmt und werde sicherlich überall angesprochen. Sie musste lachen.
Braune Augen und dunkle Haare waren dominant-rezessive Erbmerkmale. Es war klar, dass ihr Vater dunkle Augen und dunkle Haare haben musste. Sie hatte das auch gewusst. Es war nur, dass dieser Mann mittlerweile weiße Haare hatte. Dichtes weißes Haar. Nur die Augenbrauen noch dunkel und dicht über den Augen. Fast struppig. Sie konnte sehen, warum sie sich die Augenbrauen so oft zupfen musste. Sie musste wieder lachen.
Sie fuhren. Sehr hohe Häuser rechts und links. Türme. Sie fuhren zwischen Wolkenkratzern. Aber nur kurz. Dann Gründerzeitfassaden. Dann niedrige Häuschen. Ein Platz. Ein Theatergebäude links. Die hohen Türme weit dahinter. Dann eine Kleinstadtstraße. Einstöckige Häuser. Geschäfte. Hinweise auf Parkgaragen. Hinter den niedrigen Häusern gegen rechts die Wolkenkratzer. Platanen. Ein mittelalterlicher Turm. Autos in Dreier- und Viererreihen um eine Wasserskulptur. Sie bogen nach links ein. Sie konnte nur »Landstraße« auf dem Straßenschild erkennen.
Sie schaute hinaus. Das war angenehm. So gefahren zu werden war angenehm. Es war warm und von draußen alles nur gedämpft zu hören. Sie hatte sich zurechtgesetzt und saß nicht mehr in die Ecke gequetscht.
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