Musiker-Geschichten by Wilhelm Heinrich Riehl
Autor:Wilhelm Heinrich Riehl
Format: epub
Tags: Novelle
Herausgeber: H. Fikentscher Verlag
Demophoon von Vogel
Erstes Kapitel
Wer die rechte Stimmung nicht findet, der kann keine gute Oper schreiben, und wer keine gute Oper schreiben kann, der schreibt am besten gar keine.
So dachte Friedrich Vogel, ein tüchtiger Tonsetzer der Gluckschen Schule. Aber er wollte und muÃte jetzt eine Oper schreiben; darum rang er vor allem nach Stimmung.
Das Glück war ihm wie im Traume in den Schoà gefallen; denn wenn ein junger deutscher Musiker vor achtzig Jahren eine Oper für die Pariser Bühne setzen durfte, so war dies doch wohl ein traumhaftes Glück. Friedrich Vogel hatte sich in Paris eine glänzende Stellung als Musiklehrer geschaffen, wobei ihm allerdings die Fürsprache seines Vetters, des berühmten Johann Christoph Vogel, und des noch viel berühmteren Vorbildes beider, des Ritters Gluck, bedeutend unter die Arme griff. Kleinere dramatische Sätze Friedrichs wetteiferten in der Gunst der Kenner mit den Werken Johann Christophs, ja man verwechselte oft die neuesten Schöpfungen der zwei Vogel, so nahe verwandt auch in Form und Geist ihrer Musik waren die Vettern. Aber Friedrich war ein unruhiger Geselle; als er sich eben recht festgesetzt hatte in Paris, trieb es ihn wieder fort. Er ging nach Wien. Dort erhielt er brieflich den Antrag eines Pariser Theaterdirektors zur Komposition der Oper »Demophoon«. Anfangs glaubte er, der Mann habe wieder die Vettern verwechselt und meine eigentlich den gefeierten Johann Christoph Vogel; doch dem war nicht also: er meinte wirklich den Friedrich. Der Antrag war zwar in der Tat ursprünglich dem Johann Christoph zugedacht gewesen; da dieser aber bereits an seiner »Medea« arbeitete, die nachgehends so glänzenden Erfolg und ihrem Schöpfer einen kunstgeschichtlichen Namen gewinnen sollte, so hatte er abgelehnt und den Vetter warm empfohlen. Friedrich nahm nun die Arbeit dankbar an, denn die Bedingungen konnten nicht günstiger sein. Für die Vollendung war Jahresfrist bestimmt gefordert.
Mit wütendem Eifer stürzte er sich sogleich kopfüber in den vollen Strom des Schaffens und entwarf zuerst, getreu dem Vorbilde Glucks, das ganze Werk groà und frei im Geiste, bevor er irgend ans Niederschreiben ging. Er schwelgte in dieser Seligkeit des ersten Wurfes und hatte Stimmung genug und übergenug. Kaum drei Wochen waren vergangen, und schon wallten alle die Gestalten und Szenen des Dramas, musikalisch fest durchgebildet, vor dem inneren Auge und Ohre vorüber. Jetzt muÃte er nur noch alles niederschreiben. Aber dieses »Nur« ist ein furchtbar tückisches Wort! Mit Schrecken entdeckte Vogel, daà es zweierlei Stimmung gibt: Stimmung zum Erfinden und Stimmung zum Schreiben, und daà Leute, die in der Phantasie am leichtesten arbeiten, auf dem Papiere entsetzlich mühevoll einherkeuchen, und daà umgekehrt Männer, bei welchen die schaffende Kraft des Geistes im Schneckengange schleicht, oft wahre Schnelläufer auf dem Papiere sind.
Der Rausch des Erfindens verflog: die Noten trockneten ihm in der Feder ein. Wochen vergingen; die Partitur wollte schlechterdings nicht wachsen, und doch hatte er die ganze Oper fertig im Kopfe! Er muÃte sich wohl in einen neuen Rausch stürzen, um den alten wiederzugewinnen. Also suchte er seine Freunde auf, Geselligkeit, heitere Anregung beim Glase Wein und bei weindurchleuchteter Rede. Aus Arbeitslust hatte er in
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