Morgen stirbst du by Reinhard Rohn
Autor:Reinhard Rohn
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Kriminalroman
ISBN: 9783423430531
Herausgeber: dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2016-09-11T22:00:00+00:00
Das Haus lag wie verlassen da. Kein Licht über der Eingangstür, kein Licht in der Küche. Schlief ihr Vater schon, oder saß er grübelnd oder Pfeife rauchend in der Dunkelheit, die ihn nun ohnehin umgab? Ihr fiel ein, dass sie einen Arzt hatte finden und sich über Glaukome informieren wollen, aber nein, sie könnte auch im Internet recherchieren. Wie lange dauerte es bis zur endgültigen Erblindung, und gab es keine neuen Erfindungen? Künstliche Linsen, irgendetwas, das ihrem Vater Hoffnung machen konnte? Sie hatte den ganzen Tag nicht daran gedacht.
Sie zögerte, ob sie überhaupt klingeln sollte, doch dann bemerkte sie, dass aus dem Wohnzimmer ein Lichtstrahl in die Diele fiel. Im Bett war ihr Vater also noch nicht.
Ein langer Schatten näherte sich, nachdem sie die Klingel betätigt hatte.
Jürgen Weiler öffnete die Tür. Er war Anfang sechzig und fast zwei Meter groß, ein hagerer, ausgezehrter Mann, der beste Kriminaltechniker der Kölner Polizei und seit dreißig Jahren einer der wenigen Freunde ihres Vaters.
»O Lena – schön, dich zu sehen.« Er wirkte genauso überrascht wie sie. »Ich wollte kurz mal deinen Vater besuchen. Habe neulich mit ihm telefoniert und …« Er brach ab, um sie zu umarmen.
Ihr Vater saß in seinem Sessel, ein helles weißes Pflaster auf der Stirn. Der Fernseher lief ohne Ton. Es roch nach Tabak.
»Ich wusste, dass du noch kommst«, sagte ihr Vater streng.
Lena ging auf ihn zu und küsste ihn auf die Wange. Offenbar hatten die beiden Männer ohne Licht dagesessen. Zwei leere Weingläser standen vor ihnen auf dem Tisch.
Weiler schaltete die Lampe über dem Fernseher ein. Auf dem Bildschirm lief ein Schwarzweißfilm.
»Habe ich euch bei wichtigen Männergesprächen gestört?«, fragte Lena und versuchte, belustigt zu klingen. Dabei hatte sie wirklich das Gefühl zu stören.
»Jürgen weiß Bescheid«, sagte ihr Vater förmlich. »Dass ich blind werde, dass es keine Hoffnung gibt.« Dann räusperte er sich. Sein Blick suchte Weiler.
Sie haben nicht über ihn, sondern über mich gesprochen, dachte Lena. Es sah ihrem Vater ähnlich, dass er seine Erkundigungen einzog und wissen wollte, wie sie sich im Präsidium durchschlug.
»Ich wollte einen Rat von deinem Vater.« Weiler schien sich unbehaglich zu fühlen. Er hatte den zweiten Sessel, in dem früher immer ihre Mutter gesessen hatte, herangezogen. »Wir haben diesen Tatort im Königsforst … die verbrannte Leiche. Es war eine Frau, vermutlich nicht älter als dreißig, wenn man sich ihren Zahnstatus anschaut. Die Obduktion hat aber nicht viel erbracht. Wir wissen nicht einmal genau, woran sie gestorben ist, aber jemand hat ihr brutal den Bauch aufgeschlitzt.«
»Bevor oder nachdem die Frau tot war?«, fragte Lena.
Weiler zuckte mit den Achseln. »Es ist kompliziert, das herauszufinden. Die Leiche ist vollständig verbrannt … Wir vermuten, dass sie schon einige Zeit da im Wald gelegen hat, wahrscheinlich zwei bis drei Wochen …«
»Warum sollte man einer Frau den Bauch aufschlitzen?« Lena schaute ihren Vater an.
Er hatte sich seine Pfeife wieder angezündet und starrte vor sich hin.
»Vielleicht ein Ritualmord … Oder jemand war an Organen interessiert …« Weiler blickte auf seine Uhr. »Ich muss gehen«, sagte er. »Morgen um sieben bin ich wieder im Präsidium.
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