Mordsmäßig schmalzig Caspari ermittelt by Gert Anhalt

Mordsmäßig schmalzig  Caspari ermittelt by Gert Anhalt

Autor:Gert Anhalt [Anhalt, Gert]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426425343
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2015-04-17T16:00:00+00:00


Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Polizeioberkommissarin Nadide Kolcuoğlu legte, nachdem sie sich etwas befremdet von dem total verwirrten Happel verabschiedet hatte, den Hörer zurück auf das Telefon und wusste in diesem Moment, dass irgendwas nicht stimmte und dass sie nachdenken sollte. Etwas wollte bemerkt, analysiert und bedacht werden. Aber es fiel ihr nicht ein, was das sein könnte. Kein Wunder, dass sie heute langsamer tickte als sonst. Dieser Zustand war ihr noch von früher in Erinnerung. Als sie öfter mal eine Tüte geraucht und mit bunten Tabletten experimentiert hatte, da war die Welt ihr tags darauf manchmal auch unwirklich vorgekommen. Wie ein durchgedrehtes Todeskarussell, das sich immer schneller im Kreis drehte, während man selbst auf einem Holzpferdchen hockte und in gemächlichem Tempo alles an sich vorüberziehen sah. Die Hirnzellen so hoffnungslos verklebt, als sei Kleister in alle Fugen und Ritzen gedrungen. Ständig hinkte man gedanklich der Realität hinterher. Ständig griff man nach Bewusstseinszipfeln und bekam sie nicht zu fassen. Aber mit Drogen hatte sie längst nichts mehr am Hut – diesmal war es schlicht der Stress, die Erschöpfung und der Schlafmangel, die sie spürbar schwächten.

In der vergangenen Nacht war ihr auch nicht viel mehr Ruhe vergönnt gewesen als ihrem verspäteten Kollegen mit dem beschädigten Fuß. Allerdings hatte sie keine vergleichbaren Glücksgefühle erlebt. Im Gegenteil. Einen Schwall rassistischer und sexistischer Beschimpfungen hatte ein gewisser junger Mann über ihr ausgeschüttet, der eigentlich aus gutem Hause kam und von dem man dergleichen nicht unbedingt erwartet hätte.

Nachdem der renitente Knabe eingebuchtet war und sie das Geheimnis seiner Identität gelüftet hatte, war Nadide selbst zur Polizeistation gefahren. Sie hatte Lars in der Arrestzelle aufgesucht und ihn vor eine glasklare Alternative gestellt: Entweder er würde sich auf der Stelle zusammenreißen und die Klappe halten oder er würde die Nacht auf der Metallpritsche in diesem gekachelten Raum verbringen und noch vor dem Frühstück seinem Vater übergeben. Sie ließ ihn wissen, dass für sie persönlich die zweite Möglichkeit einen viel höheren Unterhaltungswert versprach.

Überraschend schnell willigte der verlorene und durch den Schock seiner Festnahme wieder halbwegs ernüchterte Sohn ein, und seine Hasstiraden gegen Frauen, Türken, Bullen und vor allem gegen türkische Frauen, die Bullen waren, verstummten schlagartig.

»Bitte nicht«, wimmerte er und hatte sofort Tränen in den Augen. Sie verpflichtete die Kollegen der Nachtschicht zu absolutem Stillschweigen und brachte Casparis Problemkind zu sich nach Hause.

»Und jetzt pass gut auf«, sagte sie. »Ein Stockwerk unter uns, da wohnt dein Erzeuger, und wenn du Ärger machst, dann gehen wir zusammen runter und klingeln ihn aus dem Bett. Kapiert?«

»Ja.« Der 15-Jährige war in ihrer Obhut erstaunlich zahm geworden. Sein Gesicht war noch etwas verbeult, das Auge leicht geschwollen, und bald würde er ein stattliches Veilchen mit sich herumtragen – aber das war für diese Generation eher ein Orden als ein Makel. Sein weiches Gesicht, eingerahmt von Jünglingslocken, hatte durch die Blessuren durchaus an Konturen gewonnen. Lars war ein Bubi der androgynen Sorte, wie sie seit ein paar Jahren ständig in den Freundeskreisen der Facebookseiten und den Userprofilen der einschlägigen Chatrooms auftauchten, in denen Bella Okapi sich so gern tummelte.



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