Mit den Händen sehen by Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt
Autor:Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Friedrich-Karl Sandmann
veröffentlicht: 2018-09-15T00:00:00+00:00
Klaus Eder
»Er hat mich gelehrt, in den Körper hineinzuhorchen«
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich Mull kennenlernte. Anfang der 1980er Jahre wurde ich vom Bayerischen Sportärzteverband als Referent zu einem Kongress in München eingeladen. Ich hielt meinen Vortrag, Mull kam danach zur Rednerbühne und sagte: »Herr Eder, das war ja fantastisch, wir sprechen eine gemeinsame Sprache. Wir haben eine gemeinsame Nomenklatur. Wir müssen unbedingt zusammenarbeiten.« Mull hat mich danach sofort zu sich in die Praxis gerufen und mich gebeten, seine Patienten zu behandeln. Ich hatte bald sogar einen eigenen Praxisschlüssel, damit ich Sportler wie Boris Becker oder Daley Thompson, die oft überraschend vor der Tür standen, jederzeit behandeln konnte, auch samstags und sonntags. Das war der Anfang einer hervorragenden Kooperation, die von der ersten Minute an ohne die kleinste Schwierigkeit funktioniert hat. Dafür bin ich Mull bis heute sehr dankbar.
Mull hat mich gelehrt, meine Hände zu benutzen und in den Körper der Athleten hineinzuhorchen. So wie ein Sommelier seinen Gaumen trainieren muss, um zu schmecken, aus welchem Land der Wein kommt, aus welcher Traube er gekeltert ist, um welchen Jahrgang es sich handelt, so muss der Physiotherapeut seine Finger trainieren, muss lernen, den Körper zu verstehen und ihm zuzuhören. Mull hat mir buchstäblich die Hand geführt. »Klaus, hier hast du einen Muskelfaserriss, hier einen Muskelbündelriss, hier ist eine Zerrung, das fühlt sich so oder so an«, sagte er Dutzende Male an der Patientenliege zu mir. Zu Beginn seiner Karriere gab es ja kaum technische Hilfsmittel, keine Kernspintomografie, keine Computertomografie, keine Ultraschalldiagnostik. Also blieb ihm nur die Palpation, die funktionelle Untersuchung der Muskeln und Knochen mit den Fingern. Das hat sich Mull alles selbst beigebracht, und ich habe es dann von ihm übernommen. Ich habe unglaublich viel von ihm gelernt und dieses Wissen mittlerweile an sehr viele meiner Schüler weitergegeben. Auch dafür bin ich ihm dankbar – genauso wie für seine Kollegialität.
Mull und ich haben bei Bayern München und der Nationalmannschaft kongenial zusammengearbeitet: Er war für die Diagnose zuständig, ich für die Therapie. Er trat mir stets auf Augenhöhe gegenüber, wollte immer meine Meinung wissen, hat mich vom ersten Tag an mit dem größten Respekt behandelt. Und noch etwas hat er mich gelehrt: Ohne Leidenschaft geht nichts in unserem Metier.
Mull lebt das rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche vor. Er ist sehr leidenschaftlich. Und er hat diese unglaubliche Gabe, den Menschen den Eindruck zu geben, dass es im Moment nichts Wichtigeres auf der Welt für ihn gibt, als sie zu behandeln. Er konzentriert sich total, redet nicht viel, ist seelenruhig beim Tasten nach den Verletzungen, fragt nur das Notwendige, versetzt sich in die Patienten hinein und gibt ihnen ein wahnsinniges Vertrauen in sein Können. Dabei vergisst er nie, wen er vor sich hat, und schafft es immer, die richtige emotionale Verbindung herzustellen. Und er hat die Fähigkeit, alle Menschen von der Notwendigkeit seiner Therapie zu überzeugen. Ich glaube, das alles macht ihn so einzigartig, seine hohe Konzentration und große Sorgfalt sind einfach nicht zu übertreffen.
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