Mit Risiken und Nebenwirkungen by Kristan Higgins
Autor:Kristan Higgins
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Mira Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2012-06-05T14:28:47+00:00
13. KAPITEL
Langsam, Mädchen, wir sind nicht hier, um Sport zu treiben“, warnte ich Annie, als sie enthusiastisch lospaddelte.
„Nicht?“
„Nein. Hier geht es nur darum, den Ausblick zu genießen. Oh, sieh mal! Ein Eistaucher! Hallo, Eistaucher!“
Es war Samstagmorgen, eine Woche nach meiner kleinen Spionagefahrt, die für ein paar Tage einen schlechten Beigeschmack hinterlassen hatte. Ein Paddelausflug auf einem See war also genau die richtige Maßnahme zur Seelenreinigung, und als Annie am Morgen anrief und mich bat, sie aus dem Haus zu zerren, bevor sie (mit ihren Worten) „jedes hier lebende Wesen abmurkste“, schlug ich ihr eine Tour im Kajak vor. Als ich sie abholte, konnte ich sie natürlich nur mit Mühe loseisen, da sie erst Seamus’ süßes Gesicht über und über mit Küssen bedeckte und sich dann im Flur ihrem Ehemann an den Hals warf. „Ihr ekelt mich an“, kommentierte ich und zerrte sie mit mir.
„Tschüss, Callie“, rief Jack.
„Hast du keinen Zwilling?“, fragte ich ihn. „Nein? Dann spar dir das!“
Im Boot legte Annie dann los … im Gegensatz zu meinem schlaffen, amateurhaften Gepaddel zeigte sie echtes Talent und brachte uns zügig auf Tempo, sodass ich kaum mithalten konnte.
„Es ist schön, auch mal menschliche Gesellschaft zu haben“, sagte ich. Ich musste den Kopf nach hinten drehen, damit sie mich verstand.
„Ist Bowie denn nicht eifersüchtig?“, wollte sie wissen.
„Natürlich ist er das. Ich musste ihn mit drei Kausticks und einem Pfannkuchen bestechen.“
Nachdem wir unseren Rhythmus gefunden hatten, war es einfach wunderschön. Wir paddelten in einiger Entfernung vom Ufer des Granite Lake und lauschten dem beruhigenden Rauschen der kleinen Wellen. Eine Schnappschildkröte kam ein paar Meter weiter an die Oberfläche und tauchte geräuschlos wieder unter.
Die Luft war lau, der Himmel hellgrau und klar. Zuerst war uns etwas kühl gewesen, aber nun, da wir eine Weile gepaddelt waren, wurde uns warm. Der See war so klar, dass man bis zum Grund sehen konnte, wo die Felsbrocken lagen, die dem See seinen Namen gaben. Um uns herum war dichtes Grün aus Kiefern und Hemlocktannen, Ahorn und Eichen. Bald würden die Blätter sich färben – irgendwann über Nacht würde das gelegentliche Rot und Gelb, das seit August fleckenhaft aufblitzte, sich ausbreiten und alle Blätter in atemberaubend schöner Farbpracht erstrahlen lassen, sodass man nur staunend davorstehen und sich fragen konnte, wie man es nur wieder ein Jahr ohne dieses Wunder würde aushalten können.
„Wie geht es deinen Eltern?“, erkundigte sich Annie.
„Ach … hm …“ Ich nahm die Gelegenheit wahr, mit dem Paddeln auszusetzen, um mit meiner Freundin zu plaudern. „Wie soll ich das am besten beschreiben? Also … die ‚Hurentour‘ hat anscheinend die zweite Station angefahren – diesmal war ich zum Glück nicht dabei –, aber laut Hester war diese spezielle Dame blind, und als Mom ihren weißen Stock und den Blindenhund sah, resignierte sie. Sie stand auf und ging und ließ Dad der Frau einen Drink spendieren.“
„Vielleicht dachte sie, die Frau sei schon genug gestraft, hm? So nach dem Motto, dass Gott sie zur Vergeltung mit Blindheit geschlagen hatte?“, überlegte Annie laut.
„Na ja, offensichtlich ist sie schon immer blind gewesen“, erwiderte ich, „was mich schon ein bisschen stutzig macht.
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