Mit Hermann Hesse durchs Tessin by Bucher Regina

Mit Hermann Hesse durchs Tessin by Bucher Regina

Autor:Bucher, Regina [Bucher, Regina]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2015-08-07T16:00:00+00:00


Zur Kirche Santa Marta

Man geht von der Casa Pantrovà bis zum Ende der Straße und folgt links der Hauptstraße, welche in einem großen Bogen am Roccolo von Carona vorbei zum Grotto del Pan Perdü am Ortsende von Carona führt. Hier schlenderte auch Hermann Hesse entlang, wenn er sich zur Kirche Madonna d'Ongero aufmachte: »Die Gärten hören auf, Fußwege verlieren sich überall, launig, spielerisch, vielstrahlig in die Haine, ins gelbe Gerstenfeld, in die dunklen Pyramidenreihen der Bohnenäcker. Ein Grotto liegt am Sträßchen, stets geschlossen außer am Sonntagabend, er heißt ›del pan perdü‹, zum verlorenen Brot, eine leere Boccia-Bahn, darüber die Terrassenmauer, aus dem schön rosigen Stein dieses Berges, warm, schmelzend von Farbe, sanft im Grünen brennend, so wie bei Renoir die rosigen Frauen aus dem Grün hervorschimmern, warme Edelsteine auf unterlegtem Samt.«25

Das Grotto hat sich zu einem etablierten Restaurant mit einheimischen Spezialitäten entwickelt, verfügt immer noch über eine große Terrasse mit Pergola und ist heutzutage sechs Tage in der Woche geöffnet.

Direkt vor dem Grotto führt die Via San Marta zum Friedhof und der Kirche Santa Marta, die sich auf einer Anhöhe, von Bäumen umgeben, massiv, schlicht und schmucklos erhebt. »Es dämmert. Hinter den krummen sehnigen Stämmen, den Waldvorboten, Waldvorhallen, ist alle Farbe schon in bleiches Dunkel geschmolzen. Am Himmel glüht noch Überfülle von Licht, manche Mauer strahlt noch edelsteinhaften Schein aus. Rechts überm Sträßchen hinter stillen alten Bäumen still und alt steht Santa Marta, aus rotem Stein, Turm und Giebel noch vom Licht umspült, mit schiefgesunkenem Kreuz auf dem Turmdach. Links vom Wege durch das Gittertor einer Mauer sieht der Friedhof heraus, die Gräber umgeben von hohem Gras […]«,26 heißt es bei Hesse weiter.

Diese mittelalterliche, später barockisierte Kirche war Hesse ein geschätzter Aufenthaltsort, nicht nur, wenn er Ruth Wenger in Carona besuchte. So führte er auch seine Schwester Adele während eines Tessinbesuchs hierher und schrieb an seine zukünftige Frau in Delsberg: »Weißt du, wo ich im Gras liege und dies schreibe? Ich komme mit dem Rucksack und mit meiner Schwester eben von der Madonna d'Ongero und liege bei Sta. Martha, unter mir Nagasaki, meine Schwester ist müd und ist eingeschlafen, ich schreibe unterdessen zwei Zeilen an dich, grüße dich von Carona und werde nachher in Positano einen Quinto trinken, gegessen haben wir schon aus dem Rucksack. Die Grillen singen. […] Am Generoso gehen die Wolkenschatten, die Hummeln fliegen.«27 Von der Bank vor der Eingangstür hat man auch heute noch einen wunderbaren Blick auf den Monte Generoso mit seinen bewaldeten Hängen.

Noch Jahrzehnte nach der Trennung von Ruth, schon 75 Jahre alt und längst mit seiner dritten Frau Ninon verheiratet, schien sich Hesse an diesen friedvollen Ort zu erinnern, wie er in einem Brief an seine ehemalige Frau Ruth in Berlin berichtet: »Neulich Anfang März, hatten wir einen Besuch, dem wir versprochen hatten, ihn eine Stunde spazieren zu fahren. Wir fuhren nach Carona und stiegen unterhalb der Sta. Marta aus, es war überall Frühling und nirgends mehr Schnee, außer im Friedhof in der Ecke, wo Hüsis Grab ist. Etwas mühsam stieg ich zum Kirchlein hinauf, dort oben ist beinah noch alles genau wie es einst war.



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