Mit Allah an die Macht - So veraendern Arabiens Revolutionen unsere Welt by Petra Ramsauer
Autor:Petra Ramsauer [Ramsauer, Petra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Carl Ueberreuter
veröffentlicht: 2012-06-05T16:00:00+00:00
Ein Despot ruiniert sein Land
Nach 42 Jahren Chaos und Wahnsinn unter Muammar al-Gaddafis Herrschaft, einer darauf folgenden chaotischen Umbruchsphase angesichts eskalierender Kämpfe zwischen Milizen und einer unfähigen Übergangsregierung sehnten sich die Libyer vor allem nach einem: Normalität.43
Muammar al-Gaddafi war 27 Jahre alt, als er sich 1969 mit einem Militärputsch an die Macht katapultierte. Nach seinem Tod 2011, gelyncht von Rebellen in einem Kanalschacht, hinterließ er einen Scherbenhaufen ohne jede Struktur, auf die eine neue Ordnung hätte aufbauen können. Kaum jemand spricht in Libyen Englisch, da Gaddafi die »lingua franca« der globalisierten Welt für lange Zeit aus den Lehrplänen der Schulen hatte streichen lassen. Aber dies ist nur eines der vielen wahnwitzigen Details der »Ordnung« von Gaddafis »Volks-Dschamahirija«.
Der »Führer Bruder«, wie er sich titulieren ließ, schaffte so das Unmögliche: Ein Land mit dem achtgrößten Erdölvorkommen der Welt, in dem 1,8 Millionen Barrel Öl pro Tag gefördert wurden, in dem mit 6,7 Millionen Einwohnern weniger Menschen als in Österreich leben, glich über weite Strecken einem Armenhaus. Während der Platzregen der libyschen Winterstürme waren Straßen kaum passierbar, weil der Belag nicht ausgebessert worden war. Fassaden der Häuser bröckelten und das marode Bildungssystem war durchdrungen von den Lehren aus Gaddafis »Bibel«, den kruden Theorien seines »Grünen Buches«.
Gaddafis Geld floss in seine internationalen Terrorkampagnen, in die Unterstützung ebenso brutaler Regime in Afrika, weil er sich in der Rolle des »Königs der Könige Afrikas« gefiel. Abgesehen von den Prunkbauten der Gaddafis, ein paar luxuriösen Einkaufsstraßen und den Fünf-Sterne-Hotels an der Ufer-Corniche der Hauptstadt Tripolis glichen und gleichen Libyens Städte noch immer über weite Flächen auf den ersten Blick den Slums von Metropolen bettelarmer Staaten.
Ein kaltblütiger Sicherheitsapparat, aufgebaut auf Gaddafis Familienbanden und Günstlingen, unterdrückte Regimegegner mit brutaler Härte. Zwischen zehn und zwanzig Prozent der Bevölkerung waren Teil des Regimes, spionierten ihre Mitbürger aus. Bei Vergehen drohten drakonische Strafen. Schau-Exekutionen von Oppositionellen auf offener Straße zählten zu den sichtbaren Gräueltaten. Doch Zehntausende wurden in den Folterkellern des Regimes brutal misshandelt. Im Hochsicherheitsgefängnis Abu Salim in Tripolis wurden 1996 in einer einzigen Nacht 1200 Häftlinge – ein Zehntel der Gefangenen – hingerichtet.
Die »Revolution des 17. Februar« begann in Bengasi mit ersten Protesten von Müttern, die Bilder ihrer in Abu Salim verschollenen Söhne auf den Platz vor dem alten Gerichtsgebäude trugen, stumm bei den Fotos ihrer Kinder stehen blieben und sich partout weigerten, von dort wieder wegzugehen.
»Wir gehen hier nicht mehr weg, bis unser Schmerz aufhört«, lautete die erste Zeile eines ihrer Protestlieder, das zu einer der Hymnen der Revolution wurde. Als Klingelton von Mobiltelefonen, in Endlosschleifen der Autoradios und in den Wohnzimmern auf und ab gespielt, überlieferte das Lied die Kernbotschaft des Aufstands: eher zu sterben, als einen Tag unter Gaddafi weiterleben zu müssen.
Als sich in Libyen der erste Widerstand regte, war Ägyptens Präsident Mubarak soeben gestürzt worden. Dies dynamisierte den Aufstand in Libyen, den kaum ein Experte erwartet hatte: Massendemonstrationen folgten auf die ersten Schüsse gegen die friedlichen Demonstranten vor Bengasis Gericht. Binnen Tagen desertierten Teile der Armee in der Rebellenhochburg des Ostens, deren Waffenlager in der Region meist unkontrolliert geplündert wurden.
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