Mine-Haha by Frank Wedekind

Mine-Haha by Frank Wedekind

Autor:Frank Wedekind [Wedekind, Frank]
Die sprache: eng
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


III

Ich habe das erste Jahr meines Aufenthaltes im Park etwas ausführlich behandelt, und kann jetzt um so rascher über die folgenden hinweggehen. Manchmal habe ich der Erinnerung ein wenig Zwang angetan, indem ich der Vollständigkeit wegen Dinge eingefügt, deren ich mich in der Tat erst aus der späteren Zeit entsinne. Von nun an werde ich mich möglichst auf die nackten Tatsachen beschränken. Erlebt habe ich ja so wie so nicht viel während all der Jahre. Alles sind nur Bilder und Eindrücke. Damals, das weiß ich noch sehr gut, schlich mir die Zeit wie eine Schnecke dahin. Ich hatte das Gefühl, als müsse es so bleiben das ganze Leben lang und könne niemals aufhören. Wir waren glücklich, eine wie die andere, aber das war auch alles. Und da uns nichts aus der Eintönigkeit aufschreckte, wurden wir groß und dick. Wir hatten nichts anderes zu tun, als zu wachsen. Der Tanz begünstigte unsere Körperentwicklung und die Musik nahm nicht viel Lebenskraft in Anspruch. Aber wenn ich heute an jene sieben Jahre zurückdenke, erscheinen sie mir ganz ohne Zeitausdehnung, wie ein Augenblick, beinahe wie der Traum einer einzigen Nacht. Infolge der gänzlichen Unwissenheit, in der wir lebten, war unser Verkehr auf die einfachsten Elemente beschränkt. So erinnere ich mich auch nicht, daß mir all die Mädchen im Park jemals als geistig voneinander verschieden erschienen wären. Eine dachte und fühlte wie die andere, und wenn eine den Mund auftat, wußten immer alle übrigen schon, was sie sagen wollte. So kam es, daß wir sehr wenig sprachen.

Bei den Mahlzeiten sagte oft keine ein Wort. Alle aßen schweigend in sich hinein. Nur an den körperlichen Unterschieden kannte man sich gegenseitig auseinander. Wenn eine »Ich« sagte, so meinte sie sich immer ganz damit, vom Scheitel bis zur Fußspitze. Wir fühlten unser Selbst in den Beinen und Füßen beinahe noch mehr als in den Augen und Fingern. Von keinem der Mädchen ist mir im Gedächtnis geblieben, wie sie sprach. Ich weiß von jeder nur noch, wie sie ging.

Pamela ging fein, ohne Ernst und Größe in ihrer Bewegung. Ihre Knie machten sich sehr geltend; man sah sie die Knie heben. Dabei hatte sie einen Mund, dessen Winkel leicht emporgezogen waren, dessen Unterlippe ein klein wenig vorstand, wie man es sieht, wenn jemand an einer Blume riecht. Die Schultern bildeten eine gerade Linie, und von Hüften war wenig zu sehen. Dazu ein Stumpnäschen und große helle Augen mit feinen geraden Brauen darüber. Alles an ihr war schlank, vornehm, dezidiert und diskret. Wir verlebten ein glückliches Jahr unter ihrer Führung und sprachen oft über Blanka, die sie ebenso zurücksehnte wie wir anderen. Den Mittelpunkt des Hauses bildete übrigens während des Sommers noch Wera, an der wir mit Anbetung emporsahen. Ich wurde für die übrigen zum Gegenstand ihres Neides, weil Wera einmal einen langen Spaziergang mit mir unternommen, auf dem wir kaum ein Wort gewechselt. Wir kamen bis an das Ende des Parkes hinunter, wo er sich in Gestrüpp, Schilf und Morast verlor. Auf einmal standen wir vor der hohen Mauer, über die von außen ein Vogelbeerbaum herübersah.



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