Mikado by Botho Strauß

Mikado by Botho Strauß

Autor:Botho Strauß
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: Carl Hanser
veröffentlicht: 2011-12-06T23:00:00+00:00


Ich habe dem Alten die beiden Bände seines Werks vorgelegt, aber er hat sie wie zwei leere Zigarrenkisten aufeinandergestellt und beiseite geschoben. Er habe kein Verhältnis zu Büchern, ließ er mich wissen. Ich habe es dann nicht ein zweites Mal versucht, ihn dazu zu bringen, sein Werk anzuerkennen. Ich hielt es nicht für schicklich und konnte es auch nicht verantworten, den alten Mann seiner Legende, die er sich wie ein Spion zugelegt hatte – Selbstschutz? Selbstflucht? –, zu berauben und ihn zu zwingen, sich seiner Existenz als Autor erneut bewußt zu werden. Er ahnt nicht, daß ich es nun bin, der sich mit dieser Dichtung beinah an Autors Statt identifiziert. Der alles durch Wort und Schrift dafür tut, ihr in der Geschichte der deutschen Literatur den gebührenden Platz zu erkämpfen. An eine Neuauflage des Werks ist so lange nicht zu denken, als es der Autor nicht als das seine anerkennt oder wiedererkennt. Es bleibt mir nicht viel mehr, als in Vorträgen und Aufsätzen zu referieren, zu zitieren, was zur Zeit wohl mir allein als Reutels Nornen vorliegt. Ich habe in Heft 769 der Zeitschrift Werk und Wort Auszüge der Glossen und Ornamente veröffentlicht, mit denen der Dichter den ersten Band der Nornen zunächst zu schmücken, dann zu überdecken, schließlich zu tilgen suchte. Sie bieten ein seltenes oder sogar einzigartiges Zeugnis für das einem nichtschöpferischen Menschen kaum vorstellbare Grauen, das dem Autor die Wiederbegegnung mit seinem Werk bereitete. Einzigartig vielleicht auch deshalb, weil in diesem Fall nicht das Werk vor dem kritischen Blick des Verfassers dahinsank, sondern weil es umgekehrt seinen Basiliskenblick gegen ihn erhob und seinen Geist, seine Person, seine Geschichte zerbrach. »Gibt es schon das Wort THEOLOGIE?« so stammelt er am Rande der dritten Seite, »vielleicht eine Möglichkeit, den ganzen Kram mit einem Ausdruck zu erledigen.« Sein Werk hatte ihn in heillose Unkenntnis versetzt.



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