Memoiren, gefunden in der Badewanne by Stanisław Lem & Walter Tiel

Autor:Stanisław Lem & Walter Tiel [Lem, Stanisław & Tiel, Walter]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 3458058915
Herausgeber: Insel
veröffentlicht: 1973-12-31T23:00:00+00:00

VIII

Ich entfernte mich fast laufend von dort, wie in der Befürchtung, daß er mich jagen werde. Und wozu hätte er das nötig gehabt? Wollte ich ihm einen Schreck einjagen? Ich hätte mir die Mühe sparen können – bestimmt fürchtete er mich nicht, der ich machtlos in ein Netz verwickelt war, dessen Enden er und seinesgleichen frei in den Händen hielten. Auf jeden Fall hatte ich wieder Mut gefaßt – warum? Darüber nachdenkend, kam ich zu dem Schluß, daß Erms die Ursache dazu war – nicht durch sein Geschwätz, natürlich, nicht durch diese Herzlichkeit und Bemerkungen, an die ich nur deswegen geglaubt hatte, weil ich das so sehr wünschte, sondern durch die Szene, die ich durch die Tür erspäht hatte. Wenn er nämlich – so ungefähr war meine Überlegung – auf einem solchen Posten ein Agent der anderen ist, so heißt das, daß man das Gebäude in seinen Zentren, in seinen empfindlichsten Knotenpunkten irreführen, betrügen und überlisten kann; also fehlte ihm viel bis zur Unfehlbarkeit, und seine Allwissenheit bestand nur in meinem Wahn. Die gleiche, in sich eigentlich düstere Entdeckung öffnete also vor mir eine Pforte auf eine am allerwenigsten erwartete Weise.

Auf halbem Wege zum Berichtanzeiger überlegte ich es mir plötzlich. Erms hatte mich dorthin geschickt. Man wünschte, daß ich dorthin ginge, also mußte ich anders handeln, um mich aus dem Hexenkreis der für mich von oben her vorgesehenen Handlungen herauszureißen. Wohin aber konnte ich gehen? Nirgends hin – und das wußte er. Mir blieb nur das Badezimmer. Schließlich war es gar nicht so schlecht – ich konnte dort in Ruhe und Einsamkeit überlegen, die schon so zahlreichen Geschehnisse durchdenken, konnte versuchen, sie untereinander in Verbindung zu bringen, sie unter einem neuen Winkel betrachten und schließlich – mich einfach rasieren. Durch diesen stachligen Bart unterschied ich mich schon allzusehr von den Angestellten des Gebäudes, und wer weiß, ob sie nicht auf einen absichtlichen Befehl hin so taten, als bemerkten sie das gar nicht.

Ich fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben zu dem Badezimmer, in dem ich unlängst ein Rasiermesser entdeckt hatte, nahm es von dort mit und kehrte nach unten zurück – zu mir, wie ich diesen Ort in Gedanken nannte. Als ich schon vor der Tür war, kam es mir so vor, als habe Erms damals, da ich ihn zum ersten Male in Gedanken versunken verließ, etwas von der Notwendigkeit des Rasierens gesagt. Sollte er diese Alternative gleichfalls vorausgesehen haben? Eine gute Minute stand ich so auf dem Korridor, stumpf auf die weiße Tür gaffend. Also nicht hineingehen? Doch schließlich hing wirklich gar nichts davon ab! Ich konnte übrigens nach dem Rasieren in meiner Einsamkeit so lange sitzen, wie ich nur wollte – dies konnte er mir schon ganz gewiß nicht diktieren!

Ich ging also leise hinein, obwohl ich an die Leere gewöhnt war, die hier immer herrschte. Der Vorraum mit einem seitlichen Eingang zu den Toiletten war von einer anderen, irgendwie stärkeren Glühbirne beleuchtet, aber vielleicht schien es mir nur so. Ich öffnete die Tür zum Badezimmer und beinahe hätte ich sie gleich wieder geschlossen: es war jemand darin.

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