Meister und Margarita by Michail Bulgakow

Meister und Margarita by Michail Bulgakow

Autor:Michail Bulgakow [Bulgakow, Michail]
Die sprache: deu
Format: mobi
ISBN: 9783462306477
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2012-09-14T18:29:07+00:00


Kapitel 21

Der Flug

Unsichtbar und frei! Unsichtbar und frei! Margarita sauste über die Gasse und gelangte sogleich in eine zweite, die zu der ersten quer verlief – geflickt und gestopft – gekrümmt und lang – mit der schiefen Tür des Petroleumlädchens – wo becherweise Paraffinöl und Mittel zur Schädlingsbekämpfung verkauft wurden. Margarita überflog sie in Sekundenschnelle. Aber auch eine Unsichtbare und Freie muss – selbst dann, wenn sie sich vergnügt – wenigstens etwas vernünftig sein: Wie durch ein Wunder gelang es Margarita, vor einer verbogenen Straßenlaterne an der Ecke zu bremsen und eben noch auszuweichen. Das war ja noch einmal gutgegangen! Sie drückte sich fester an den Stiel, drosselte ein wenig die Geschwindigkeit und gab jetzt mehr acht auf elektrische Kabel und Aushängeschilder über dem Gehsteig.

Die dritte Gasse führte zum Arbat. Hier begriff Margarita drei Dinge: Der Schrubber reagiert schon auf die kleinste Bewegung der Arme und Beine – über der Stadt gilt es, aufzupassen und nicht allzu stürmisch zu sein – der Flug ist tatsächlich für die da unten vollkommen unsichtbar! Kein Heben der Köpfe. Kein Geschrei »Schau, schau!«. Kein Springen zur Seite. Keine Schwächeanfälle. Kein Gekreisch. Kein wildes Gelächter.

Margarita glitt lautlos – sehr langsam – nicht hoch (ungefähr auf der Ebene des ersten Stockwerks), aber kurz vor dem knallig bestrahlten Arbat flog sie dennoch zu unkonzentriert und schlug sich die Schulter an irgendeinem Leuchtschild, das einen Pfeil zeigte. Das machte sie wütend, also zügelte sie den zahmen Schrubber, holte seitlich aus, stürzte sich unvermittelt auf das Schild und ließ es mit der Spitze des Stiels zerbersten. Klirrend regnete es Splitter. Die Passanten zuckten erschrocken zusammen. Von ferne erklang eine Trillerpfeife. Und, wozu war das alles jetzt gut? – Margarita kullerte sich vor Lachen. Sie dachte: »Am Arbat ist Vorsicht geboten! Dort ist so vieles durcheinandergerührt, dass einem der Kopf schwirrt.« Zwischen den Oberleitungen tauchte sie ab. Unter ihr schwammen Dächer von Trolley-, Autobussen und Personenwagen. Über dem Gehsteig: Ströme von Käppis – zerliefen und rannen in die flammenden Schlünde der Nachtgeschäfte.

»So ein Gequirl!«, dachte Margarita verärgert. »Eng wie in einer Sardinenbüchse!« Sie durchquerte den Arbat – segelte aufwärts – zum dritten Stock – vorbei an den grellen Röhren des Ecktheaters – und dann in die schmale Gasse mit den hohen Häusern hinein. Alle Fenster standen weit offen und aus jedem schepperte Radiomusik. Neugierig schaute Margarita in eines davon. Küchenzimmer. Zwei Spirituskocher, heulend auf dem Herd. Zwei Frauen, Löffel in der Hand, zankend.

– Und das Licht im Klo gehört ausgeknipst! Ist das klar, Pelageja Petrowna? –, sagte die eine (sie stand vor dem Topf, darin etwas schmorte und dampfte). – Sonst werden Sie nämlich aus-quar-tiert! Jawohl, das werden wir nämlich be-an-tra-gen!

– Sie sind mir ja eine! –, parierte die andere.

– Ihr seid mir ja welche! –, sagte Margarita und gelangte vom Fensterbrett in die Küche. Die beiden Zankenden blickten nach der Stimme und erstarrten samt ihren schmutzigen Löffeln. Margarita schob vorsichtig den Arm dazwischen und drehte die Spirituskocher aus. Die Frauen holten tief Luft und rissen die Mäuler auf. Doch Margarita langweilte sich bereits, verließ die Küche und flog in die Gasse.



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