Meine Wanderungen und Wandlungen mit dem Reichsfreiherrn von Stein by Arndt Ernst Moritz
Autor:Arndt, Ernst Moritz
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00
Es war hier das große diplomatische Hauptquartier, die Kaiser, Könige, Feldherren ringsumher in den schönen Schlössern am Fuß der karpathischen Berge. – In Reichenbach sah ich die Diplomaten kommen und gehen: Stein, Hardenberg, Graf Stadion, Castlereagh, Nesselrode, Anstett, von den Unsrigen Wilhelm von Humboldt, Schön, Niebuhr, Rhediger, Scharnweber, und auch einige halbdiplomatische Rundläufer, den sogenannten dicken Müller, einen gescheiten Sachsen, der an Breite und Höhe über alle hervorragte, ein Koloß, der für zehn essen und trinken konnte, und den später berüchtigten Dorow, einen Königsberger, der sich als ein Lützower hatte einkleiden lassen, aber in allerlei geheimen Aufträgen in und um alle Feldlager und Kongresse herumgeschwänzelt hat. Für mich hatte er ein Cave hunc! auf der Stirn geschrieben; er merkte das wohl und hat mit seiner schmunzelnden und lächelnden Zudringlichkeit nach erster Erblickung mich nimmer mehr angelaufen.
Scharnweber, der bei Hardenberg viel galt, ist von manchen auch so erblickt und dargestellt worden; ich mußte ihn aber mehr für einen phantastischen, aber dabei doch für einen offenen, graden Kerl halten. Es erinnert mich, wir beide saßen einen Abend im schönsten Mondschein im Garten des protestantischen Oberpastors Tiede in Reichenbach, bei welchem Stein sein Quartier genommen hatte; da mochten wir über politische und finanzielle Fragen sehr lebhaft aneinandergeraten sein. Den andern Morgen sagte mir Stein: »Sie haben mir mit dem Scharnweber, dem geschwätzigen Hardenbergischen Hannoveraner, gestern abend eine böse Nacht gemacht; das war ja ein Lärm durch die Tiedeschen Lauben, daß alle Sperlinge, die hier morgens des Teufels sind, zu früh wach werden könnten.«
Nun unsre guten Leute: Humboldt, Niebuhr, Schön, Rhediger. Wilhelm Humboldt, jüngst noch Gesandter in Wien, hatte durch seine einzige, seltenste Klarheit, Geistigkeit und Ruhigkeit über Stein gewonnen, daß er mit ihm wie mit einem Lamm umgehen konnte. – Niebuhr und Schön alte Freunde. – Schön hatte kurz vor Preußens Fall Niebuhrs Übertritt aus dänischem in preußischen Dienst veranlaßt. – Die beiden trefflichen Männer hielten zusammen, der eine der Besonnene, der andere der Heftige. Es war ja hier bei den schwebenden ungewissen Zuständen der doppelten Verhandlungen und Verhältnisse, bei all dem wirklichen oder geträumten diplomatischen Spiel ein rechtes Wespennest. Sie hielten auch oft zusammen in ihren Urteilen und Bemerkungen über Stein, die nicht immer mild ausfielen, aber die Steinschen über sie waren es auch nicht immer.
Nun begab sich, daß die beiden wirklich frommen Männer, Stein und Geßler, ein paarmal nach dem nahen Zinzendorfischen Gnadenfrei zum Sonntagsgottesdienst zur Kirche gefahren waren. Darüber glossierte Schön mit den Worten: »Die beiden alten Betväter meinen die Teufel Napoleon, Metternich und Hardenberg mit Bußpsalmen niederbeten zu können.« Dergleichen Gespräch hörte ich und erzählte es nicht wieder, aber Stein hatte vor Freunden Niebuhrs einmal das geschwinde Wort gesagt: »Der Niebuhr wäre ein ganz andrer Kerl, wenn er seine Frau nicht bei sich hätte; die hält ihn bis neun, zehn Uhr im Bett und verpappelt und vertändelt ihn auf ihrem Schoß, als wenn sie ihr Enkelchen darauf wiegte.« Es war aber Niebuhrs Frau damals wirklich krank, und er war natürlich bei seiner großen Reizbarkeit doppelt krank an den Zuständen, woran wir alle mehr oder weniger krankten.
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