Mein Süßkind: Ein Jesus-Roman by Klaas Huizing

Autor:Klaas Huizing [Huizing, Klaas]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fiction, Historical, Wunschliste
ISBN: 9783579065793
Google: K32qdhtWXtUC
Herausgeber: Gütersloher Verlagshaus
veröffentlicht: 2015-08-22T16:00:00+00:00

BARMHERZIGER RÖMER

Jeschuas Ohren waren nicht wach, sein Blick klebte am Erdboden, weil er über ein Gespräch mit Rabbi Ascher nachdachte: Wer war sein Nächster?

Sein Kopf fühlte sich fleckig an. In ihm wohnten zu viele Geschichten, die alle immer wieder durchlebt werden wollten, sich nach vorne drängten, um Aufmerksamkeit buhlten, miteinander fochten, eifersüchtig aufeinander waren. Deshalb auch merkte er nicht, dass nach einer Wegbiegung – der Lärm von Sepphoris war kaum verklungen – sich zwei fremde Männer an seine Fersen hefteten. Das war nicht außergewöhnlich. Auf dem zweistündigen Fußmarsch zwischen Sepphoris und Nazareth bildeten sich oft kleine Gruppen. Häufig auch waren es Bekannte, die vom Markt in Sepphoris zurückkehrten. Sie luden, wenn ihre Geschäfte erfolgreich gewesen waren, Jeschua gelegentlich ein, im Eselskarren mitzureisen. Meistens war auch der Gesprenkelte an seiner Seite, den linken Fuß etwas nachziehend, als sei sein linker Fuß müder als sein rechter. Heute eilte Jeschua allein zurück, weil der Gesprenkelte nach Tiberias aufgebrochen war, um dort für zwei Wochen am Bau der Villa eines römischen Beamten mitzuarbeiten. Nicht ohne Stolz im Blick und spürbar heiter hatte er sich von Jeschua verabschiedet, ihm Grüße aufgetragen, ihn mit zwei Küssen bedacht und ihm den Wochenlohn in einem Beutel anvertraut, den Jeschua sicher unter seinem Unterkleid verborgen hielt.

Abwesend erwiderte er den Gruß der Fremden, die jetzt neben ihm gingen.

Zwischen dem Rabbi und ihm hatte sich seit zwei Wochen ein Schweigen gezwängt, das er nicht hatte herausdrücken können. War er zu wenig demütig gewesen? Zu vorlaut oder vielleicht zu eifrig? Er sehnte sich nach dem gedehnten Tonfall des Rabbis, der jedem Laut sein Recht ließ. Und was zog ihn immer wieder zu dem Platz, auf dem das mächtige Theater in der Stadt gebaut wurde? Warum bedrängte er den Gesprenkelten, er möge um künftige Aufträge für den Bau feilschen? Leseglück. Ja. Wie glücklich war er, nicht mehr in dem lauten Gasthof übernachten zu müssen, wo erst in den späten Stunden nur sehr kurz Ruhe einkehrte. Im Haus einer Witwe, nicht weit vom Gericht entfernt gelegen, hatte der Gesprenkelte für sie beide Quartier gemacht. Dort konnte er abends bei schwachem Licht lesen, was ihm der Rabbi anvertraut hatte. Wie er mit großer Lust in die Texte hineinkroch, als wären sie eine warme Höhle.

Jeschua schaute für einen Augenblick hoch. Die Sonne schien schwer verwundet und hatte ihre Farbe beinahe vollständig an den Himmel abgegeben, das Rot sickerte in die Wolken, die die Sonne nicht länger stützten konnten. Genau in diesem Augenblick stützten auch Jeschuas Beine nicht mehr seinen soeben noch vor Glück warmen Körper. Sie knickten ein, er spürte einen giftigen Schmerz, sah, wie sich der Erdboden schnell näherte, Blut sickerte in den Staub, in dem er jetzt mit angewinkelten Beinen laut röchelnd lag. Seine Augen schienen seltsam gelähmt, fixierten nur zwei blau glänzende Steine vor ihm. Seine Hände und Beine gehorchten ihm nicht mehr. Sein Rock, erst vor Wochen neu erstanden, riss man ihm vom Körper. Und natürlich den sicher geglaubten Beutel mit den Schekeln und Denaren. Zwei Tritte quälten seine Nieren. Dann entfernten sich die Schritte in großer Eile.

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