Meditieren mit Leib und Seele - de Mello, A: Meditieren mit Leib und Seele by de Mello Anthony

Autor:de Mello, Anthony [Anthony de Mello]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Butzon U. Bercker GmbH
veröffentlicht: 2012-03-17T18:30:00+00:00

Übung 20 Befreiung von Ressentiments

Wer anderen das Unrecht, das sie ihm angetan haben, nicht verzeihen kann, der bewahrt in sich ein Gift, das seiner körperlichen, emotionalen und spirituellen Gesundheit schwer schaden kann. Oft hört man Leute sagen: „Ich kann vergeben, doch nicht vergessen“ oder: „Ich möchte vergeben, doch ich kann nicht.“Was sie eigentlich meinen, ist, dass sie nicht vergeben wollen. Sie möchten an der Befriedigung festhalten, die ihnen ihr Ressentiment verschafft. Sie möchten es einfach nicht loswerden. Sie verlangen, dass der andere seine Schuld einsehe, dass er sich entschuldige, dass er sich bessere, dass er bestraft werde–nur dann wollen sie ihr Ressentiment aufgeben und sich von dem Gift befreien, das sich in sie hineinfrisst.

Oder sie haben das echte Verlangen, ihr Ressentiment loszuwerden, doch es schwelt weiterhin in ihnen, weil sie keine Gelegenheit hatten, ihm Ausdruck zu geben und es so aus ihrem „System“ auszustoßen. Oft ersetzt dieses echte Verlangen nicht die Notwendigkeit, den ganzen Ärger und das Ressentiment zumindest in der Fantasie regelrecht „auszuspeien“. Ich muss nicht betonen, dass wir in der Meditation nur Fortschritte machen können, wenn unser Herz ganz frei von Ressentiments ist. Hier ist eine einfache Methode, wie du dich von ihnen befreien kannst:

Stelle dir vor, die Person, gegen die du Ressentiments hegst, steht vor dir. Lass sie deine Ressentiments wissen, schütte deinen ganzen Ärger über sie aus, so kräftig, wie du kannst. Nimm kein Blatt vor den Mund. Du kannst sogar deinen Groll durch einen körperlichen Gewaltakt ausdrücken, indem du etwa mit der Faust auf eine Matratze oder ein Kissen schlägst. Häufig sammeln sich im Menschen Ressentiments an, weil sie Angst haben, stark zu sein. Die Festigkeit, die sie gegenüber anderen Menschen zeigen sollten, richten sie deshalb gegen sich selbst. Vergebung und Milde sind keine Tugenden, wenn man sie aus Furcht, für die Wahrheit einzustehen, übt; dann sind sie nur ein Deckmantel für Feigheit.

Nachdem du dein ganzes Ressentiment ausgeschüttet hast–aber wirklich erst danach – betrachte die Situation aus der Perspektive des anderen Menschen, der das Ressentiment verursacht hat. Nimm seinen Platz ein und erkläre die ganze Sache: Wie sieht sie in seinen Augen aus? Bedenke auch, dass sehr selten jemand aus Bosheit einen anderen kränkt, angreift oder beleidigt. Selbst wenn er den anderen mit Absicht beleidigt, liegt der Grund meist in einem tiefsitzenden Unglücksgefühl dieses Menschen.Wirklich glückliche Menschen sind nicht bösartig. Außerdem bist du in den allermeisten Fällen nicht persönlich die Zielscheibe der Angriffe. Der Angreifer sucht etwas anderes (oder jemand anderen) in dir, was er auf dich projiziert hat.

Vielleicht bringen dich diese Überlegungen dazu, für den anderen eher Mitleid als Ärger und Ressentiment zu fühlen.

Wenn alle diese Bemühungen nicht fruchten, dann bist du wahrscheinlich einer jener Menschen, die unbewusst, doch aktiv, gekränkte Gefühle und Ressentiments ansammeln. Es ist unglaublich, aber wahr, dass diese Menschen Situationen schaffen, in denen sie gekränkt oder beleidigt werden, und wenn sie bekommen haben, was sie wollten, dann glauben sie, ein Recht auf ihre Ressentiments zu haben. Du kannst eine solche Neigung überwinden, wenn deine Erwartungen von anderen Menschen neutral bleiben.

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