Martin Eden by Jack London
Autor:Jack London
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-01-12T23:00:00+00:00
Zweites Kapitel
Am Morgen ging Martin Eden nicht auf die Arbeitssuche. Erst spät am Nachmittag erwachte er aus seinen Fieberträumen und sah sich mit schmerzenden Augen in der Stube um. Mary, eine vom Stamme Silva im Alter von acht Jahren, wachte an seinem Bett und kreischte auf, als sie sah, daß er wieder zum Bewußtsein kam. Maria schoß aus der Küche herein. Sie legte ihre schwielige Hand auf seine fieberheiße Stirn und fühlte ihm den Puls. * »Sie möchten essen?« fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. Essen war das, wonach er im Augenblick am wenigsten verlangte, und er wunderte sich, daß er je hungrig gewesen sein sollte. »Ich bin krank, Maria«, sagte er mit schwacher Stimme. »Wissen Sie, was es ist?«
»Grippe«, antwortete sie. »Zwei oder drei Tage, Sie ganz gesund wieder. Besser, Sie essen nicht jetzt. Hinterher Sie können viel essen, morgen Sie können essen vielleicht.«
Krankheit war für Martin etwas ganz Ungewohntes, und als Maria und ihr Mädchen ihn verließen, versuchte er, aufzustehen und sich anzukleiden. Durch eine gewaltige Willensanspannung, mit schwindelndem Hirn und Augen, die so heftig schmerzten, daß er sie nicht offen halten konnte, glückte es ihm, aus dem Bett zu steigen, aber nur, um über dem Tisch ohnmächtig zusammenzubrechen. Eine halbe Stunde später gelang es ihm, wieder ins Bett zu kommen, wo er mit geschlossenen Augen still lag und seine verschiedenen Schmerz- und Schwächegefühle zu analysieren suchte. Maria kam mehrmals im Laufe des Abends herein und machte kalte Umschläge um seine Stirn, sonst aber ließ sie ihn in Ruhe, denn sie war zu klug, um ihn durch Reden zu quälen. Das rührte ihn, und dankbar murmelte er vor sich hin: »Maria, du kriegst die Meierei, sicher, sicher.«
Dann fiel ihm die längst begrabene Vergangenheit des gestrigen Tages ein. Ein ganzes Menschenalter schien vergangen, seit er den Brief vom ›Transcontinental-Magazin‹ erhalten hatte – ein Menschenalter, seitdem alles vorbei war und der neue Lebensabschnitt für ihn begonnen hatte. Er hatte seine Pfeile verschossen, und zwar mit aller Kraft, und jetzt war er am Ende. Wäre er nicht ausgehungert gewesen, so hätte die Grippe ihn nicht gepackt. Er war erschöpft und hatte nicht Kraft genug gehabt, sich von dem Krankheitskeim zu befreien, der seinen Körper überfiel. Und das war nun der Erfolg!
»Was nützt es dem Menschen, eine ganze Bibliothek zu schreiben, wenn er dabei drauf geht?« fragte er laut. »Das ist kein Beruf für mich. Ich will nichts mehr mit Literatur zu tun haben. Von jetzt an gibt es für mich nur noch Kontor und Hauptbuch, festes Gehalt und ein kleines Heim mit Ruth.«
Als er zwei Tage später ein Ei mit zwei Scheiben Röstbrot gegessen und eine Tasse Tee getrunken hatte, fragte er nach seiner Post, aber er merkte, daß seine Augen immer noch zu sehr schmerzten, als daß er hätte lesen können.
»Sie müssen mir vorlesen, Maria«, sagte er. »Nicht die langen, dicken Schreiben. Die werfen Sie unter den Tisch. Lesen Sie mir die kleinen Briefe vor.«
»Kann nicht«, lautete die Antwort. »Teresa, sie gehen zur Schule, sie können.«
So öffnete denn die neunjährige Teresa Silva seine Briefe und las sie ihm vor.
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