Mao by Chang Jung; Halliday Jon
Autor:Chang, Jung; Halliday, Jon [Chang, Jung; Halliday, Jon]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-05-03T16:00:00+00:00
Die übrige Führungsriege in Peking hielt an ihrem Kurs fest. Das Politbüro beschloss am 4. Juni zusätzliche Einsparungen und stornierte weitere Industrieprojekte.53 Mao kehrte am Nachmittag jenes Tages nach Peking zurück, doch seine Anwesenheit beeinflusste das aktuelle Geschehen nicht.
Liu schickte Mao am 12. Juni den Entwurf zu einem Leitartikel für die Volkszeitung, den er, Liu, in Auftrag gegeben hatte. Das bereits der Überschrift zu entnehmende Thema war »Die Haltung der Ungeduld«.54 Der Text kritisierte Menschen, die »Taten planen, die jenseits ihrer Möglichkeiten liegen, und Dinge zu erzwingen versuchen, die nicht zu verwirklichen sind« und »alles an einem Morgen schaffen wollen« und »so für Ausschuss sorgen«. »Diese Haltung der Ungeduld«, hieß es in dem Artikel, »findet sich zunächst und vor allem unter den Führungskadern«, die diese Einstellung dem ganzen Land »aufzwingen« würden. Mao sollte später sagen, dass diese kritischen Bemerkungen direkt gegen ihn gerichtet waren. In seiner Wut schrieb er neben diesen Text nur: »Das werde ich nicht lesen.« Der Leitartikel erschien dennoch.
Maos Problem bestand darin, dass dies für ihn eine Zeit großer Unsicherheit war. In gewisser Weise lebte er jetzt unsicherer als noch unter Stalin, der grundsätzlich zu Mao gehalten hatte, weil Mao ein Stalinist war. Doch Chruschtschow hatte den Stalinismus verworfen, und es war nicht abzusehen, ob sich dieser Bulldozer nicht die stalinistischen Parteiführer vorknöpfen würde – vielleicht sogar Mao persönlich. Chruschtschow hatte eben erst Mátyás Rákosi gestürzt, den stalinistischen ungarischen Parteichef und einzigen europäischen Kommunistenführer, den Stalin während Maos Russland-Besuch mit dem chinesischen Parteichef hatte sprechen lassen. Außerdem hatte es im August in Nordkorea einen – durch Chruschtschows Stalin-Kritik bestärkten – Versuch gegeben, den scheinbar so fest im Sattel sitzenden Diktator Kim Il Sung bei einem Parteiplenum abzuwählen.55
Auch Mao stand ein Parteikonklave bevor: der für den September anberaumte erste Parteikongress der Kommunisten seit der Machtübernahme. Er konnte den Kongress nicht verschieben, denn er war bereits überall angekündigt worden, und zum neuen Klima seit Chruschtschows Stalin-Kritik gehörte auch, dass man sich an die Verfahrensregeln hielt. Maos Sorge bestand darin, dass seine Führungskollegen versuchen könnten, ihn bei diesem Kongress zu entmachten, wenn sie sich bedrängt fühlten, dass sie ihn in ein vermeintlich höheres (aber einflussloses) Amt wegloben oder sogar direkt abwählen könnten, nachdem sie zuvor die vollen Konsequenzen des Supermachtprogramms enthüllt hatten. Anastas Mikojan, Chruschtschows Gesandter für Maos Parteikongress, hatte erst wenige Wochen zuvor Rákosis Entthronung in Ungarn überwacht.
Mao traf eine Reihe von Maßnahmen, mit denen er sicherstellen wollte, dass dieser Kongress für ihn nicht bedrohlich werden würde. Zunächst einmal setzte er seinen Führungskollegen ein paar Warnschüsse vor den Bug. Am 10. September, wenige Tage vor Kongressbeginn, erinnerte er sie daran, wie viel Opposition er in der Vergangenheit bereits erlebt und dass er dies alles stets überstanden hatte.56 Äußerst ungewöhnlich war, dass er von sich aus frühere »Fehler« eingestand. In diesem Zusammenhang erwähnte er die Säuberung Anfang der dreißiger Jahre und Tucheng und Maotai, die beiden größten Katastrophen während des Langen Marsches, die er als »die wirklichen Fehler« bezeichnete. Auf den ersten Blick wirkte das wie eine Entschuldigung, was aber
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