Man wird nicht als Soldat geboren by Konstantin Simonow

Man wird nicht als Soldat geboren by Konstantin Simonow

Autor:Konstantin Simonow [Simonow, Konstantin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman Trilogie "Die Lebenden und die Toten", Band 2
Herausgeber: Verlag Volk und Welt Berlin
veröffentlicht: 1973-03-15T00:00:00+00:00


2

Malinin hatte sich bereits am Morgen vorgenommen, mit Tanjas Mutter zu sprechen, doch er kam erst gegen Ende der ersten Schicht zur Gießerei. In den einzelnen Abteilungen hatten sich wie immer zahlreiche Arbeiter mit persönlichen und beruflichen Sorgen an ihn gewandt, obwohl es von ihm hieß, er sei grob. Das war in dem Sinne richtig, daß er, ohne in seinen Ausdrücken wählerisch zu sein, jedem die Wahrheit ins Gesicht sagte. Aber er brachte es nicht fertig, einen Menschen stehenzulassen. Das war nicht Unentschlossenheit, sondern er verstand seine Aufgabe im Leben so, daß er die Menschen anhören müsse.

Darüber konnten er und der Direktor sich nicht einigen. Dieser war ein sehr genauer Mensch, schätzte seine Genauigkeit hoch ein und schalt Malinin, weil der länger als notwendig im Betrieb steckte. Der Direktor ließ sich nicht länger als notwendig im Werk sehen; er kam zwar oft in die Abteilungen, doch zum Mittagessen und zum Schlafen fuhr er nach Hause. Es war wohl noch keinem seiner Untergebenen gelungen, sich mit ihm über eine dafür vorgesehene Zeit hinaus zu unterhalten. Der Direktor verstand sich darauf, den Leuten über den Mund zu fahren, ja, er bildete sich ein, ihnen damit eine Lektion in Disziplin zu erteilen. Ob er recht oder unrecht hatte, war für ihn keine Frage, denn er nahm von vornherein an, daß er stets im Recht sei.

Malinin dagegen wurde nie fertig. Er war Tag und Nacht im Betrieb, verbrachte die Zeit nicht mit unnützen Dingen und war kein Freund von langen Reden, und trotzdem gelang es ihm nur selten, alles zu erledigen, was er sich für den Tag vorgenommen hatte. Vielleicht kam das einfach daher, daß sehr viele Menschen im Betrieb arbeiteten, ihre Lebensbedingungen schwer waren und jeder seine Sorgen und Nöte hatte. Wenn ihn jeder einmal im Jahr ansprach, waren das dreißig Gespräche am Tag! Einmal im Jahr — wie sollte er es übers Herz bringen, dem Betreffenden kein Gehör zu schenken?

Und was war heute wieder nicht alles gewesen! Einer hatte um Bretter für einen Sarg gebeten, ein anderer war wegen Wohnungsschwierigkeiten gekommen, und ein dritter wollte zum Sohn an die Front fahren. Dieser hatte den Leninorden erhalten, und sein Truppenteil hatte den Vater eingeladen. Eine wichtige Sache; es ging nicht einfach darum, daß ein Vater zu seinem Sohn fährt, sondern bei dem Regiment würde natürlich die gesamte Politarbeit damit verbunden werden. Aber der Vater ist Dreher; fährt er für zwei Wochen weg, so fehlen siebenhundert Granatmäntel, und das weiß er ganz genau. Fahren möchte er natürlich, doch er besteht nicht darauf, er schaut Malinin nur in die Augen, damit dieser ihm die schwere Entscheidung abnehme und sie seinem eigenen Herzen aufbürde. Selbstverständlich muß man ihn fahren lassen, doch nicht um den Preis der siebenhundert Granatmäntel. Das würde niemand gestatten und niemand verzeihen. Also müssen die anderen, damit er fahren kann, die siebenhundert Granatmäntel für ihn drehen. Und deshalb genügt es nicht, einfach den Urlaub zu gewähren, sondern die Kollegen müssen das billigen, geben sie doch auch so schon ihr Letztes, um den Plan zu erfüllen.



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