Mai by Geetanjali Shree

Mai by Geetanjali Shree

Autor:Geetanjali Shree [Shree, Geetanjali]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Asien, Frau, Indien
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-11-23T16:00:00+00:00


16

Eines Tages‹ ist mir spontan herausgerutscht, aber wann genau dieser Tag war, kann ich nicht mehr sagen.

Es muss sich über einen längeren Zeitraum hingezogen haben, aber wenn ich mich jetzt zu erinnern versuche, kommt es mir vor, als ob sich so vieles im Haus mit einem Schlag geändert hätte. Mai trug nun beim Gehen einen Stützgürtel, aber sie lief noch mehr als vorher. Weil sie nämlich nun auch das Haus verließ, auch vors Haus ging, wo heute nur noch die Erinnerungen an Großvater herumschweben. Auch innerhalb des Hauses hatte sich ihr Wirkungskreis erweitert, seitdem Großmutter sich nicht mehr in die Haushaltsangelegenheiten einmischen konnte, weil sie von uns gegangen war.

Als Mai alt wurde, erlangte sie mit einem Schlag den Status einer Herrin des Hauses.

Großmutter war glücklich als verheiratete Frau gestorben. Sie hatte oft gesagt: »Ich habe nur eine Bitte an den da oben, dass er mich zu sich nimmt, bevor er ihn nimmt.« Ihr Kinn, dessen Knochen längst spröde geworden und eingeschrumpft war, wackelte, wenn ihre Lippen zitterten. Ich fand es lachhaft, dass sie, obwohl Großvater damals noch höchst lebendig war, mit ihm absolut nichts zu tun hatte.

Wie auch immer, Großmutter blieb sich selbst treu. Sie pfiff auf die Verbote des Arztes und aß weiter heimlich, was ihr schmeckte, ohne dass sich ihr Leben dadurch verkürzt hätte. Sie starb zu der ihr bestimmten Zeit, nachdem sie die Siebzig weit hinter sich gelassen hatte. Wenn jetzt jemand behauptet, dass jeder zu seiner eigenen, ihm gemäßen Zeit stirbt, widerspreche ich nicht. Kurzum, Großmutter starb und Großvater weinte bitterlich. Einige Jahre später folgte er ihr nach.

Von alledem ist mir nicht viel im Gedächtnis geblieben. Ich erinnere mich an die Blumen, an die Rezitation des Pandits, an die Menschenmenge. Ich weiß noch, dass ich an dem Tag, als Großvater oder Großmutter starb, zu irgendeiner Veranstaltung in den Club gehen sollte und bedauerte, nicht gehen zu können. Es war schon dunkel und ich war gerade draußen, als ich Papa eiligen Schrittes ins Haus kommen sah. Ich wusste, dass es Papa war, aber in der Dunkelheit sah man nur seine strahlend weißen Kleider. Es war, als tauchte ein kopfloses Gespenst auf, und auch ich ging ins Haus. Ich erinnere mich auch, dass eines Tages einer von uns sagte: »Wenn du das Foto von Großvater im Wohnzimmer konzentriert anschaust, hörst du von hinten seine Schritte.« Von da an ging ich oft ins Wohnzimmer. Und ich erinnere mich, einmal stieg ich allein auf die Dachterrasse, wo ich Großmutters blauen Kissenbezug zum Trocknen an der Wäscheleine hängen sah, und ich musste weinen.

Mai fing nun an, sich mit dem Personal außerhalb des Hauses zu unterhalten. Jetzt wurden die Henna-Sträucher vor Großvaters Wohnzimmer zurechtgestutzt, die im März von weißen Blüten und grünen Knospen übersät waren. Als Kinder hatten Subodh und ich ihre Blätter zu einer Paste zerstampft, mit der wir uns kunstvolle Muster auf die Handflächen zeichneten. Das Unkraut zwischen den Hennasträuchern wurde gejätet und bündelweise weggeschafft. Die Erde wurde umgegraben und mit einer Walze eingeebnet. In der Regenzeit wurde eine robuste Sorte Gras angepflanzt und wir weihten Mais Rasen ein.



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