Macht und Missbrauch by Wilhelm Schlötterer
Autor:Wilhelm Schlötterer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Unverkäufliches eBook für den Frauensteiner Kreis 11-2012
veröffentlicht: 2012-11-19T05:00:00+00:00
Ministerpräsident Edmund Stoiber – das »zweite Ich« von F.J. Strauß
Ein Gesuch
Der neue Ministerpräsident Edmund Stoiber wurde am 28. Mai 1993 gewählt und auf die Staatsverfassung vereidigt.
Stoiber selbst war freilich zwischenzeitlich schwer angeschlagen gewesen. Es war aufgekommen, dass auch er stiller Genießer geldwerter Vergünstigungen gewesen war, die er aufgrund seines Amtes erhielt. Er hatte von dem Rüstungskonzern MBB, obwohl er dort keine Funktion hatte, u.a. kostenlose Hin- und Rückflüge für sich und seine Familie zu Urlauben in Frankreich und Italien in Anspruch genommen. Außerdem hatte er kostenlos Autos von BMW, Audi und Daimler-Benz für Urlaubsreisen benutzt. Er rechtfertigte sich damit, dass für Politiker »nicht die gleichen Grundsätze für Unparteilichkeit gelten wie für Beamte«. Über diese Gesinnung war die Öffentlichkeit verblüfft. Da Stoiber aber die Flucht nach vorn angetreten war, überstand er die Krise, wobei er versicherte, dass in Zukunft alles sauber laufen werde. So war er trotzdem neuer Ministerpräsident geworden. Zwar wollte die Opposition im Amigo-Untersuchungsausschuss diese Urlaubsreisen untersuchen, aber – von der CSU abgeblockt – konnte sie Stoiber dazu nicht mehr vernehmen.
Ich selbst dachte, dass nunmehr die Treibjagd gegen mich zu Ende sei. Umso überraschter war ich, als mir wenige Wochen nach dem Amtsantritt Stoibers Finanzminister von Waldenfels mitteilte, gegen mich werde jetzt ein formelles Disziplinarverfahren eingeleitet, hauptsächlich wegen meiner Vorwürfe gegen Streibl. Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum hatte Streibl eigentlich zurücktreten müssen, wenn die gegen ihn gerichteten Vorwürfe, ob es meine waren oder die anderer, unbegründet waren? Noch mehr konsterniert war ich aufgrund des Umstands, dass angeblich Edmund Stoiber hinter dem Disziplinarverfahren stand. Gerade er, der vom Sturz Streibls profitiert hatte, er, der CSU-Politikern zufolge den Sturz Streibls betrieben hatte, er, über den Streibl klagte: »Stoiber hat mich gestürzt und verraten!« Ich entschloss mich, das nicht hinzunehmen.
Darin wurde ich bestärkt durch ein Kabinettsmitglied, das meinte, gerade Stoiber sei wegen seiner Amigo-Geschichten ungeeignet, gegen mich ein Disziplinarverfahren durchführen zu lassen, und mir wünschte, ich solle »die Ohren steifhalten«. Freilich, ich hatte das Amigo-System empfindlich gestört, dieser Schuld war ich mir voll bewusst. Wer liebte schon so einen? Stoiber anscheinend nicht.
Zunächst aber fuhr ich mit meiner Frau in Urlaub an die Südspitze Sardiniens. Dort sollte ich eine Erscheinung haben, keine Marienerscheinung, auch keine Heiligenerscheinung, eher das Gegenteil. Als ich am Tag nach unserer Ankunft am Strand unserer Hotelanlage Forte Village entlangschlenderte, stutzte ich. Da stand unter den Leuten ein Mann mit Sonnenbrille, auf dem Kopf ein weißes Käppi und mit seinem hartledernen Gesicht in die Bild-Zeitung blickend, daneben eine blonde Frau. Er war es, Edmund Stoiber. Mit Frau, Kindern und Bodyguards spazierte er tags darauf am Strand an mir vorbei, mal in die eine Richtung, dann in die andere. Ihn ansprechen? Nein. Nachdem er in den folgenden Tagen ausgiebig die Bild-Zeitung mit den Berichten über die Gauweiler-Affäre studiert hatte, verschwand er. Mein Urlaub trat in die akute Erholungsphase ein.
Zurück in München. Mit Schreiben vom 4. Oktober 1993 stellte ich den neuen Ministerpräsidenten zur Rede. Ich hielt ihm vor, dass jetzt gegen mich ein Disziplinarverfahren eingeleitet werde, das nach meiner Information auf ihn persönlich zurückgehe.
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