Loslassen – Wie ich die Welt entdeckte und verzichten lernte by Finke Katharina

Loslassen – Wie ich die Welt entdeckte und verzichten lernte by Finke Katharina

Autor:Finke, Katharina [Finke, Katharina]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Malik
veröffentlicht: 2017-01-12T23:00:00+00:00


Sich einlassen

Je näher ich dem West Village kam, desto unwohler fühlte ich mich. Wie ein gleichgepolter Magnet stieß mich das Viertel ab. Ich lief vorbei an dem Café, in dem Daniel und ich uns das erste Mal in New York getroffen hatten. Vorbei an dem japanischen Restaurant, wo wir oft zusammen zu Mittag gegessen hatten.

An der nächsten Querstraße, vor einer italienischen Konditorei, blieb ich stehen. Genau hier hatten wir uns das letzte Mal gesehen. Wie versteinert stand ich da. Ich brauchte einen Moment, bevor ich die Konditorei betreten konnte. Um mich herum Menschen, die Kaffee zum Mitnehmen bestellten.

New York war auch hier der Trendsetter gewesen, bevor es Coffee to go überall auf der Welt zu bestellen gab. Schon lange konnte man hier zwischen verschiedenen Milch- und Kaffeesorten wählen, heiß oder kalt, verschiedenen Größen und Geschmacksrichtungen.

Eine Frau, etwa in meinem Alter, bestellte einen entkoffeinierten Milchkaffee mit ungesüßter Mandelmilch und Karamellsirup zum Mitnehmen. Da musste ich lächeln. Denn ich sah Daniel, wie er vor meinem inneren Auge den Kopf schüttelte. Ihm waren die ganzen Extras zu anstrengend gewesen. Er bestellte immer das Gleiche: einen extragroßen Cappuccino. In der Regel zum Mitnehmen. Ich trinke Heißgetränke hin und wieder auch unterwegs. Um dadurch aber nicht so viel Plastikmüll zu produzieren, nehme ich möglichst oft meinen eigenen Thermobecher mit.

Das letzte Mal, als ich Daniel getroffen hatte, brauchte ich das nicht. Da hatten wir es uns in der hinteren Ecke der Konditorei neben der offenen Backsteinmauer gemütlich gemacht. Daniel hatte sich – ohne seine Schiebermütze abzunehmen – in einen der alten Sessel gefläzt und mir die neusten abstrusen Geschichten erzählt. Er hatte ein Gespür dafür, was mir gefallen würde.

Anschließend sprachen wir über Indien. Daniel wäre gern mitgekommen, insbesondere weil die Auftragslage in den USA zu der Zeit etwas mau war, aber er wollte sich nicht zwischen Arjun und mich drängen, erklärte er mir. Dafür brachte er mich auf gute Ideen, welche Geschichten ich von der Reise mitbringen könnte. Zum Beispiel ließe sich etwas über die Internet-Butler machen, über die Menschen, die in den Callcentern arbeiteten und die wir in Deutschland über eine Hotline an die Strippe bekamen, obwohl sie eigentlich irgendwo in Indien saßen. Genau darüber berichtete ich später tatsächlich.

An jenem Nachmittag beendeten wir bald unseren netten Plausch, da am nächsten Tag mein Flieger nach Hamburg ging. Ich brachte Daniel noch nach Hause. Sein Apartment war nur wenige Schritte von der Konditorei entfernt. Genau dorthin machte ich mich auch jetzt auf den Weg. Seine Straße war klein, es kostete mich viel Überwindung sie zu betreten. Doch dann ging ich zu seinem Haus und setzte mich sogar auf die Stufen vor dem Eingang. So als ob ich auf ihn warten würde. Wie früher. Links war immer noch der kleine Plattenladen und gegenüber der Waschsalon.

Ich erinnerte mich daran, wie ich ihn genau hier das letzte Mal gesehen und seine Emotionalität zum Abschied nicht verstanden hatte. Damals lächelte ich ihn nur freundlich an und sagte: »See you!« Es machte mich traurig, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Dass ich ihn loslassen musste.



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