Liebesfluchten by Schlink Bernhard

Liebesfluchten by Schlink Bernhard

Autor:Schlink, Bernhard [Schlink, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60038-4
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-13T05:00:00+00:00


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Ohne Helga wäre er nicht über den Winter gekommen. Sie fragte nicht viel, redete auch sonst nicht viel, war schön, war weich, freute sich an ihm im Bett, an den Fahrten und Essen mit ihm und an seinen Geschenken. Er war so glücklich über ihre Beziehung, daß er sie verwöhnte. Sie war für ihn da, wenn er mit allem nicht mehr zurechtkam.

Bis sie ins Examen kam. Sie brauchte einen Patienten, bat ihn, und er wollte ihr die Bitte nicht abschlagen. Er dachte, er würde sich auf besonders schmerzhafte Spritzen, besonders quälendes Bohren, schlechte Plomben und schiefe Kronen einlassen, und wollte das um ihretwillen auch auf sich nehmen. Tatsächlich ließ er sich auf etwas anderes ein. Nichts lief falsch, nichts war schmerzhaft oder quälend. Im Gegenteil wurde jeder Schritt, den Helga tat, zuerst vom Assistenzarzt kontrolliert und dann, wenn dieser Zweifel hatte oder der Schritt wichtig oder schwierig war, vom Oberarzt. Nichts ging daneben. Das Warten auf den Assistenz- und den Oberarzt war auch nicht unangenehm. Helga und die andere Studentin, die ihr und der sie assistierte, redeten und scherzten mit ihm, und wenn Helga sich über ihn beugte, ließ sie ihn ihre Brüste an seinem Gesicht spüren. Aber alles dauerte ewig. Er verbrachte Stunden um Stunden, halbe Tage um halbe Tage in der Zahnklinik. Wenn er um neun bestellt war, platzten alle Vormittagstermine, und wenn er um zwei kam, saß er um fünf noch da und hatte keine Besprechung, Baustelle oder Behörde geschafft. Er mußte mehr Termine auf den Abend legen und mehr Arbeit ins Wochenende nehmen, und das [161] kunstvolle Gefüge von Berliner und Hamburger Stunden und Tagen geriet ins Wanken.

Er merkte, was er sich oder was Helga ihm eingebrockt hatte, und wollte mit den halb gefüllten Wurzeln, halbfertigen Plomben und Kronen zu seinem Zahnarzt gehen und alles in zwei Stunden hinter sich bringen. Als er es Helga sagte, reagierte sie mit kalter Wut. Er brauche sich nie mehr bei ihr sehen zu lassen, wenn er sie jetzt im Stich lasse. Sie wisse zwar noch nicht, wie sie ihm den Schaden heimzahle, den sein Ausfall für ihr Examen bedeute, werde sich aber etwas einfallen lassen, das er nie vergessen werde. Nun wollte er ihr Examen nicht gefährden, hatte einfach nicht gewußt, daß sein Ausstieg aus der Behandlung eine Gefährdung war, und erklärte sich sofort bereit, sich von ihr weiterbehandeln zu lassen. Das grobe Geschütz, das sie aufgefahren hatte, wäre nicht nötig gewesen. Aber er lernte daraus, daß hinter Helgas einladender Weiblichkeit Härte und Entschlossenheit steckten.

Als sie ihr Examen glänzend bestanden hatte, entwickelte sie ihm ihr Projekt einer privaten Zahnklinik. Sie werde während der Assistenzärztinnenzeit mit der Vorbereitung beginnen. Ob er mitmachen wolle? Als Architekt mit ihr planen und bauen? Als stiller Teilhaber den finanziellen Erfolg mit ihr gestalten und genießen?

»Wer braucht eine private Zahnklinik?«

»Wer braucht deine Wohnungen? Oder deine Brücken? Oder deine Bilder?« Sie sah ihn herausfordernd an, als wolle sie fragen: Wer braucht dich?

Zuerst stutzte, dann lachte er. Was für eine Kämpferin Helga war! Beim Architekten- und Teilhabervertrag [162] würde er aufpassen müssen, daß sie ihn nicht über den Tisch zog.



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