Lieber Mr. Salinger by Rakoff Joanna

Lieber Mr. Salinger by Rakoff Joanna

Autor:Rakoff, Joanna
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Knaus
veröffentlicht: 2014-12-11T12:22:18+00:00


Sommer

Die Präsentation

Sie würden sich treffen. Höchstpersönlich. Jerry und Roger Lathbury. Das waren große Neuigkeiten: Jerry traf sich nicht mit Leuten. Jerry ging Leuten aus dem Weg. Sogar Leuten, die er seit Jahrzehnten kannte. Die beiden Männer hatten auf eigene Faust korrespondiert, an meiner Chefin und der Agentur vorbei. »Es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie mir Kopien Ihrer Briefe schicken würden«, hörte ich meine Chefin sagen. Doch Jerry schickte keine Kopien seiner Briefe. Und Roger auch nicht. Meine Chefin bezeichnete dies als »höchst unüblich«, schüttelte den Kopf und lachte ein wenig, wie sie es immer tat, wenn sie beunruhigt oder ungehalten war. Ja, diese Briefe erfüllten sie mit Sorge. Was wäre, wenn Jerry irgendwelche abwegigen Bedingungen akzeptieren würde? Oder sich in irgendeiner Weise in Gefahr bringen würde? Roger schien zwar der netteste und ehrlichste Bursche zu sein, den man sich denken konnte, aber was wäre, wenn er es doch nicht war? Was wäre, wenn er Salinger irgendwie manipulieren würde, ihn dazu bringen würde – aber wozu eigentlich? Meine Chefin wusste es nicht.

Im Grunde war es auch egal, denn es gab ohnehin nichts, was wir hätten tun können. Die Grenzen des rein Geschäftlichen waren längst überschritten. Jerry und Roger waren dabei, sich anzufreunden.

Jerry zumindest war dabei, sich mit Roger anzufreunden. Roger selbst war angesichts von Salingers Enthusiasmus eine Spur zu verwirrt und verunsichert, um derlei Gefühle wirklich zu erwidern. Er rief jetzt immer häufiger an, jedes Mal, wenn er einen Brief von Salinger bekam. Und jedes Mal, wenn er Salinger einen Brief geschickt hatte, voller Sorge, er könnte etwas Falsches geschrieben haben.

Somit war häufig ich diejenige, die sich Rogers Ängste und Befürchtungen anhörte. »Ich habe schon mal ein paar Layouts gemacht«, erzählte er mir Ende Juni. »Zwei Stück. Ich glaube, ich habe verstanden, was Jerry von der Gestaltung her mag, und ich denke, sie werden ihm gefallen. Ich denke, ich weiß auch schon, welches er bevorzugen wird.«

»Ach ja?«, antwortete ich und versuchte, meine Stimme nicht beunruhigt klingen zu lassen. Sämtliche Details dieses Buchprojekts waren noch zu klären. Es gab keinen Vertrag. Nicht einmal einen Vertragsentwurf. Das Layout eines Buches zu machen, ehe ein Vertrag unterschrieben war, erschien auch mir höchst unüblich. Darüber hinaus fand ich, dass es Unglück bringen konnte.

»Ich habe alles noch mal abgetippt«, erklärte er mir. »Um damit arbeiten zu können. Ich hätte den Text auch scannen können, aber ich dachte, Salinger wäre es lieber, wenn ich ihn noch mal tippe.«

»Mm«, murmelte ich in den Hörer; ich fragte mich, ob Salinger den Unterschied bemerken würde. Es war Freitag und meine Chefin wie immer zu Hause. Roger rief häufig freitagvormittags an, und langsam beschlich mich der Gedanke, dass er es bewusst tat, dass er mich als Resonanzboden benutzte. Oder als Therapeutin. Es lag klar auf der Hand, dass dieses Projekt schon jetzt enorme Ängste bei ihm auslöste. Oder er war einfach nur generell ein ebenso ängstlicher wie mitteilsamer Mensch. Ich wusste bereits alles über seine Töchter, seine Lehrpläne, seine Sammlung literarischer Reliquien und die duldsame Abneigung seiner Frau gegen die verlegerischen Aktivitäten ihres Mannes.



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