Liebende bleiben by Juul Jesper

Liebende bleiben by Juul Jesper

Autor:Juul, Jesper
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Tags: Erziehung, Liebe, Elternliebe, Eltern-Kind-Beziehung, Paarbeziehung, Liebesbeziehung, Paarberatung, Kinder, Jugendliche, Babys, Familienbeziehungen, Familienfrieden, Harmonie in der Familie, Romantik
ISBN: 978-3-407-86454-3
Herausgeber: Beltz
veröffentlicht: 2017-02-05T16:00:00+00:00


In den letzten paar Jahrzehnten hat die Entwicklungspsychologie entdeckt, dass »Bindung« eine entscheidende Größe in der Beziehung zwischen Eltern und Kind darstellt, und das war gut so. Die intuitive Verbindung scheint jedoch unabhängig zu sein von dem erfolgreichen Aufbau von Bindung in den ersten vier bis fünf Jahren des kindlichen Lebens mit den Eltern. Sie hat das Potenzial, Bindung zu jedem Zeitpunkt des Lebens aufzubauen.

Die intuitive Verbindung ist also keine Liebe, und sie ist unabhängig von Bindung – was aber ist sie dann? Aufbauend auf meiner Erfahrung und auf den Geschichten, die mir Hunderte von Menschen erzählt haben, lautet die genaueste Beschreibung, die ich (aus kindlicher Perspektive formuliert) geben kann:

Die intuitive Verbindung ist eine existenzielle Verbundenheit, über die das Kind lernt, wie das entsprechende Elternteil mit den Herausforderungen und den Segnungen des Lebens umgeht, und über die das Kind diese Kompetenzen und Muster in sein eigenes Sein integriert.

Wenn das alles ist, dann ist das nicht besonders neu. Allerdings gibt es da noch mehr, ganz besonders dann, wenn die Verbindung zwischen dem Kind und seinem intuitiv mit ihm verbundenen Elternteil in irgendeiner Form belastet ist.

Wenn beispielsweise der Vater oder die Mutter nicht verfügbar ist – wenn er oder sie etwa gestorben ist, »nie« zu Hause oder aus anderen Gründen im Leben des Kindes nicht präsent ist –, dann ist es für das andere Elternteil fast unmöglich, ein Rollenvorbild zu werden. So wächst das Kind in einem existenziellen Vakuum und mit einem massiv eingeschränkten Selbstgefühl auf. Ein Zeichen dafür kann sein, dass dem einen Kind ein Elternteil nach einer Trennung zutiefst fehlt, während das Geschwisterkind dieses Elternteil, das es jetzt nur noch ab und zu an den Wochenenden sieht, einfach vermisst. Dem ersten Kind wurde ein existenzielles Bedürfnis versagt; seinem Geschwister dagegen »nur« ein geliebter Mensch weggenommen. Das erste Kind ist unglücklich, verloren und einsam. Dem anderen Kind geht es im Großen und Ganzen ganz okay, und es passt sich an die neue Realität an.

Egal, wie sehr das intuitiv verbundene Kind bestimmte Verhaltensanteile des entsprechenden Elternteils – beispielsweise Gewalt oder Alkoholismus – emotional ablehnen mag, es wird höchstwahrscheinlich ähnliche Verhaltensmuster – beispielsweise eine andere Form von aggressivem beziehungsweise selbstzerstörerischem Verhalten – entwickeln. Entscheidet sich das betroffene Elternteil dafür, sich Hilfe zu holen und neue Bewältigungsstrategien zu lernen, wird das Kind davon profitieren. Es hat dann die Chance zu lernen, seine inneren Konflikte und seinen Schmerz auf eine weniger selbstzerstörerische Weise zu bewältigen.

Allerdings kommt es oft vor, dass dieses Elternteil sich seiner Verhaltensmuster nicht bewusst ist, dass es versucht, sie zu vertuschen oder zu kompensieren, oder dass es in Bezug auf sie lügt, und das macht es natürlich extrem schwierig für das Kind, sich mit sich selbst wohlzufühlen. Eine andere sehr verbreitete Strategie ist es, dass Eltern zu verhindern versuchen, dass ihr eigenes Verhalten auf die Kinder »abfärbt«. Dementsprechend fördern und predigen sie besseres Verhalten, wobei sie fälschlicherweise annehmen, dass die existentielle Entwicklung in erster Linie ein kognitiver Prozess ist. Diese Strategie stürzt das Kind in einen massiven existenziellen Konflikt, und sie verringert seine Fähigkeit, Autoritätspersonen zu vertrauen.



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