Licht - Die Trilogie: Drei Romane (German Edition) by M. John Harrison

Autor:M. John Harrison [Harrison, M. John]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-04T04:00:00+00:00

8 · Grenzwellen

Die Katzen kehrten wieder ins Ereignisgebiet zurück. Als sie unter dem gelben Fenster von Liv Hulas Black Cat White Cat die Straint hinaufströmten, hatte es längst wieder zu regnen begonnen. Es war fünf Uhr früh. Sobald die Straint frei war, würden erste Fußgänger auftauchen: Arbeiter, die die Straße als Abkürzung zum Ionenwerk benutzten; ein paar Verkäufer und Büroangestellte, die in der Nähe wohnten und in die Innenstadt mussten; ein paar Kämpfer, die vom Preter Cœur kamen. Doch normalerweise war die Straint verwaist, und jeden Morgen um diese Zeit schien sie sich auf die andere Seite zu drehen und einfach weiterzuschlafen. Liv Hulas Fenster war das einzige Lebenszeichen in diesem Teil von Saudade. Es beleuchtete den Gehweg. Von draußen gesehen konnten zwei oder drei betrunkene Nachtschwärmer, isoliert durch den rechteckigen Fensterrahmen, so als hätten sie nichts miteinander zu tun, durchaus als anheimelnde Gesellschaft erscheinen. Sie sahen aus wie Leute, die man gerne kennenlernen würde.

Liv, die zusah, wie die Katzen vorüberkamen, und sich fragte, warum ihr Leben wie ein Haufen mehr oder weniger ansehnlicher Einzelstücke wirkte, die sich noch nicht zu etwas Nennenswertem zusammengefügt hatten, fühlte sich diesem Bild zugehörig: Sie war eine Person, die man gerne kennengelernt hätte, wenn man die Straint entlangkam, wenn alles andere seine Farbe verloren hatte, die Bordsteine, die Katzen, die zweigeschossigen Häuser mit den abblätternden, verkarstenden Ladenfronten. Das war in einem Satz Liv Hula.

»Die Katzen werden nie nass«, sagte sie. »Schon bemerkt? Egal, was draußen für Wetter ist, sie werden einfach nicht nass.«

Vic Serotonin, der die Bar vor zehn Minuten betreten hatte, hielt die Ellbogen auf den verzinkten Tresen gestützt und stierte unverwandt auf seine Hände, als koste es ihn alle Kraft, am Leben zu bleiben. Seine Klientin war fünf Minuten vor ihm gekommen und saß allein an einem Tisch. Vic hatte eine kleine Tasche dabei und trug eine dunkle Rollstrickmütze. Mrs. Kielar trug eine kurze Kunstlederjacke mit Gürtel und eine dazu passende schwarze Leinenhose; sie sah müde aus. Sie tranken Kaffee mit Rum und taten wegen der Nanokameras so, als würden sie sich nicht kennen. Kein Aas wäre darauf reingefallen.

Als Vic nicht antwortete, schenkte Liv ihm frischen Kaffee ein, gab Milch aus dem geschlossenen Kännchen dazu und sagte: »Du bist heute früh dran, Vic. Gehst wohl wieder rein, was? Bist immer so früh, wenn du reingehst.«

Auch jetzt keine Antwort. Sie zuckte die Achseln und ging hinter den Tresen, den sie nachlässig mit einem Lappen wischte. Sie sah zu Mrs. Kielar hinüber und sagte lauter: »Halt bloß den Mund, Vic. Ich will nicht hören, was du über dich erzählst. Genug ist genug.« Sie schaltete die Lampen aus, dann wieder an, dann wieder aus. Ohne das Licht nahm die Luft in der Bar wieder ihren Sepiaton an – wobei die in ihm erkennbaren Gegenstände meist schon an sich farblos erschienen, und als wären sie von innen her erhellt. »Ist das hell genug für dich, Vic? Kannst du gut sehen bei dem Licht?«

Als Vic den Köder nicht schluckte, ging Liv nach hinten ins rückwärtige Dunkel der Bar.

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