Lesereise Peloponnes by Nicole Quint

Lesereise Peloponnes by Nicole Quint

Autor:Nicole Quint
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
veröffentlicht: 2015-03-16T16:00:00+00:00


Ritsos-City oder Robinson-Club?

Warum aus Monemvasia und mir nichts wird

Hat der Mythos Monemvasia verändert oder Monemvasia den Mythos? Ich stelle mir diese Frage auf der Dachterrasse eines Cafés und schaue zu dem Mann hinüber, der diese Stadt noch berühmter gemacht hat, als sie ohne ihn ohnehin schon war – Jannis Ritsos. Es ist die Büste des Dichters, die sich auf der gegenüberliegenden Seite sehr aufrecht hält und mit emporgestrecktem Kinn aufs Meer schaut. Keiner da, der ihm den Blick versperrt. Der Platz vor dem Haus seiner Geburt ist leer. Ungebeugt und einsam steht er da – das war schon zu seinen Lebzeiten nicht anders. Unten auf der Eparchiaki Odos, Monemvasias Hauptstraße, weiche ich Urlaubern aus, die mit ihren Trolleys über das Kopfsteinpflaster rumpeln, und lasse Arbeiter vorbei, die ihre mit Bauschutt beladenen Maultiere zum Stadttor hinaustreiben. Autos können in Monemvasias verwinkelten, engen Gassen nicht fahren. Schön still hätten es die Feriengäste hier, so ohne Verkehr, würden sie nur selbst nicht so lärmen, würden die Renovierungsarbeiten an Hotels und Pensionen nicht solch einen Krach verursachen.

Ich laufe ein paar Meter zurück und steige die Treppen zu Ritsos’ Büste hoch. Ein Bürgerhaus, fast eine kleine Villa, konnte sich die Familie Ritsos leisten. Sie liegt direkt am Hang oberhalb des Stadttors. Wie passt das zum Bild vom »ärmlichen Hause, wo alle gestorben sind«? Eine sehr komprimierte Beschreibung seiner von Trunk- und Spielsucht, Tod, Irrsinn und Einsamkeit bestimmten Kindheit, die Jannis Ritsos mit dieser Zeile seines Gedichts »Frühlingssinfonie« gibt. Die Ritsos waren wohlhabende Großgrundbesitzer, bis Jannis’ Vater das Familienvermögen vertrank und verspielte. Die psychisch kranke Mutter und Jannis’ älterer Bruder starben beide kurz hintereinander an Tuberkulose.

Und Monemvasia? Was für eine Heimat war diese Stadt? Gab es hier Orte der Geborgenheit? Moni emvasia, einziger Zugang, haben die Byzantiner diesen Inselklotz genannt, auf seinem Gipfelplateau eine Zitadelle erbaut und am Abhang des Felsens, dicht an der Uferklippe, eine Unterstadt errichtet. Himmel, Gestein und Meer, weiter ist von dort unten nichts zu sehen, weder der einzige Damm, der das Festland mit Monemvasia verbindet, noch die daran anschließende Ortschaft Géfira oder gar die bergige Landschaft des Peloponnes. Der Rest der Welt bleibt hinter das einzige Tor der Befestigungsmauer gesperrt. Unter diesen Umständen wuchs keiner auf, der zufrieden mit den Zuständen sein konnte, sondern einer, der tiefer und genauer hinschaute, der nicht bereit war, Täuschungen und Unrecht zu ertragen; keiner, der Macht und Besitz verteidigen musste, sondern der Macht- und Besitzlose schützen wollte. Widerstandskämpfer und Kommunist wurde so einer. Symbolträchtig, dass Jannis Ritsos ausgerechnet am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, geboren wurde, oder gehört das etwa zur Legendenbildung dazu? Mehrfach ist mir bereits aufgefallen, dass sich Datumsangaben in griechischen Geschichtsbüchern von denen in deutschen unterscheiden. Die einen übernehmen die Daten nach dem alten julianischen Kalender, die anderen aktualisieren sie nach dem gregorianischen. In Griechenland wurde die Zeitrechnung 1924 umgestellt. Hat Ritsos das bei der Angabe seines Geburtsdatums berücksichtigt? Dreizehn Tage müssten zum ursprünglichen Datum dazugerechnet werden.

Im Gedicht »Angaben zur Person« schafft er keine Klarheit. »Datum meiner Geburt: möglicherweise 903 vor



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