Lenz, Siegfried by Exerzierplatz
Autor:Exerzierplatz [Exerzierplatz]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-19T05:00:00+00:00
Vielleicht sollte ich doch nicht ans Meer gehen, zu Bootsbauern, sondern in eine kleine Stadt, alles ist da bestimmt übersichtlich, so daß man sich rasch einleben könnte, und wenn Magda mitkäme, würde es wohl nicht mal einen Tag dauern, bis wir etwas gefunden hätten für uns.
Zusammen, da würden wir uns gleich zurechtfinden in einer Stadt. Sie könnte mich zur Stadtgärtnerei bringen, wo es bestimmt Arbeit gibt für mich, und bei allem, was sie kann, würde sie gewiß in kurzer Zeit auch etwas für sich finden – Magda, die selbst in einer kleinen Stadt an der Küste groß geworden ist und genau weiß, wie man zu etwas kommt.
Von ihrer Stadt an der Westküste spricht sie nicht gern, wenn ich sie nach ihrem Leben gefragt habe, hat sie immer nur das Nötigste gesagt, aber ich war noch jedesmal zufrieden mit dem Nötigsten, denn ich sah die alte Stadt deutlich genug vor mir: die engbrüstigen Häuser, vor denen hier und da Malven standen, das Kopfsteinpflaster, die Linden, die im Seewind kümmerten, die Werft, auf der nur noch Fischerboote repariert wurden. Dort wuchs sie auf in einem schmalen grauen Haus. Ihr Vater war Schiffszimmermann, er kenterte bei einer Probefahrt und ertrank; ihre Mutter wollte sich nicht damit abfinden und saß lange am Fenster, sie saß auch manchen Winter so, ungläubig und hoffend, und einmal bekam sie Fieber und starb nach kurzem Krankenlager, nun war Magda allein mit ihren jüngeren Geschwistern, Jan und Clara, die beide noch zur Schule gingen.
Um sie satt zu bekommen, nahm sie eine Stellung an bei einem Drogisten, dessen Frau hatte einen Kropf und einen Fimmel, den Staubfimmel, den ganzen Tag war sie hinter Magda her, wies sie an, beaufsichtigte sie und rügte sie, und wenn Magda am Abend nach Hause ging, mußte sie sich abmelden. Essen durfte Magda nur das, was die Frau ihr zuteilte, und kaum war ihr Teller leer, da hieß es auch schon: Die Arbeit wartet nicht gern; fertig wurde sie niemals.
Einmal hat Magda gesehen, wie die Frau den Staubbeutel aus dem Staubsauger absichtlich ein wenig öffnete und etwas von dem Inhalt auf einen Lehnstuhl schüttete und auf die Blätter einer Zimmerpflanze, sie hat es gesehen und nichts dazu gesagt, doch als die Frau dann mit ihrer üblichen Inspektion anfing, als sie Magda beweisen wollte, daß ihre Arbeit nicht das Geld wert sei, das sie erhielt, da erlebte sie eine ganz schöne Überraschung. Ohne ein Wort hat Magda den Staubbeutel genommen und den ganzen Inhalt über die Zimmerpflanzen verstreut, so daß sie aussahen wie mit Dreck gepudert, und dann hat sie der Frau den Staubbeutel in die Hand gedrückt und ist gegangen.
Der Räuchermeister: sie hat auch einmal bei einem Räuchermeister gearbeitet, der war Witwer und lebte allein in einem geräumigen Haus, das von wildem Efeu bewachsen war, ihre Geschwister waren da schon aus der Schule. Die Stube, in der sie wohnte, war erfüllt vom Lärm der Vögel, die ihre Nester im Efeu hatten, bei der Arbeit war sie ohne Aufsicht, und sie durfte sich zu essen nehmen, soviel sie wollte.
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