Lebenslauf und Bürokratie by Stephan Strunz
Autor:Stephan Strunz
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2021-09-22T16:38:54.704000+00:00
b) Entscheidungsautoritäten
Während die erste Modalität der Namenspolitik sich in erster Linie auf die symbolisch legitimierte Kompetenz der Genannten gründet, kommt in vielen Lebensläufen auch eine weitere Strategie zum Einsatz, die die Linie zwischen Ansehensmacht (auctoritas) und Entscheidungsmacht (potestas) kontinuierlich verwischt.81 Im Wesentlichen sind damit Namensnennungen gemeint, die das Ziel haben, das Bekanntschaftsverhältnis zwischen dem Bewerber und den entscheidungs- oder vorschlagsberechtigten Behörden hervorzuheben. Solche Bekanntschaften sind im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert nicht mehr ohne weiteres offen als soziales Kapital benennbar. Vielmehr müssen die Patrone durch geschickte rhetorische Umformulierungen in Zeugen der eigenen Leistungsfähigkeit transformiert werden. Ein Beispiel: Der 1780 erneut supplizierende Martin Emanuel Reichhelm lässt in einem Whoâs Who der preuÃischen Verwaltungselite nicht nur die Namen der ihm bekannten âMinistre Baron von der Schulenburgâ , des âMinistre von Gaudiâ und des âjetzigen Cammer Praesidenten der Magdeburg[ischen] Krieges- und Domainen Cammer, von Winckelâ fallen, sondern qualifiziert diese Bekanntschaft explizit mit der Begründung, dass sich der König bei ihnen âohnzubezweiffelnde Nachrichtenâ in Hinsicht seines âbisherigen physicalischen und moralischen Verhaltensâ einziehen könne.82
Die Autorität dieser Namensnennungen speist sich aus der administrativen Macht, die den Benannten beikommt. Personalentscheidungen über höhere Baubeamte werden vor und nach 1806 â zumindest formal â stets von Ministern getroffen; einen solchen âtheuerste[r] Protectorâ83 anrufen zu können, hat also bereits entscheidungsfördernde Effekte. Auf der Ebene der Provinzbehörden hingegen entwächst die Autorität der Regierungsräte aus dem Recht, im Medium des Berichts Personalvorschläge zu unterbreiten.84 Wer sich in seiner Supplik auf die Bekanntschaft mit einem lokalen Regierungs- oder Baurat beruft, impliziert dadurch, bereits in einem Vertrauensverhältnis zur lokalen Verwaltungselite zu stehen.85
Aus der Perspektive der Provinzialbehörde ist persönliche Bekanntschaft sogar eine Grundvoraussetzung, um als bewerbendes Subjekt überhaupt wahrgenommen und damit vorgeschlagen werden zu können. Das lässt sich gut an der Bekanntschaftsterminologie der Vorschlagenden demonstrieren. Auf der Seite der vorschlagenden Provinzialbehörde wird die Bekanntschaft in der Regel mit dem Argument der Beurteilbarkeit eingeführt. Nur wer persönlich âbekanntâ ist, kann physisch beobachtet, und nur wessen Verdienste auf diese Weise beobachtbar sind, kann evaluiert werden. So lässt sich etwa eine berichtliche Stellungnahme des Potsdamer Baurats Redtel aus dem Jahr 1831 interpretieren, in der dieser über die Beförderbarkeit der Wegebaumeister im lokalen Regierungsbezirk spricht.86 Von allen überhaupt angestellten Wegebaumeistern sind Redtel nur vier âpersönlich bekanntâ und nur über diese vier erlaubt er sich ein Urteil. Bekanntschaft fungiert hier als temporale Beständigkeit im System, den Grad der Beständigkeit differenziert Redtel im Folgenden anhand der temporalen Extension der Bekanntschaft. âDie beiden ersteren habe ich jedoch nur kurze Zeit auf einmal gesehen; ihre Arbeiten kenne ich gar nicht und vermag daher ihre Qualifikation nicht zu beurteilen.â87 Anders sieht es hingegen bei dem Wegebaumeister Weyer aus, den er schlieÃlich auch für eine Beförderung empfiehlt: âDen p[raenominatus] Weyer kenne ich seit 17 Jahren als einen tüchtigen, fleiÃigen und redlichen Mann [â¦] und trage keine Bedenken ihn dafür zu empfehlen.â88
Eine lange Bekanntschaft produziert damit Vertrauen als âvergegenwärtigte Zukunftâ,89 sie gewährt Weyer den Kredit einer âriskanten Vorleistungâ,90 indem aus den selektiven Informationen, die aus der Vergangenheit über ihn in der Gegenwart vorliegen, eine ungewisse Zukunft bestimmt wird.
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