Laura by Marilyn Sachs

Laura by Marilyn Sachs

Autor:Marilyn Sachs [Sachs, Marilyn]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Benziger Verlag, Zürich, Einsiedeln, Köln
veröffentlicht: 1970-12-15T23:00:00+00:00


8. kapitel

REGEN

Ein feuchter Wind strich Laura über das Gesicht, und sie verkroch sich tiefer unter ihre Decken. Draußen kalt und drinnen warm, so war’s gemütlich. Gerade vor ein paar Minuten hatte der Wecker geläutet. Doch Laura beschloß, es nicht zur Kenntnis zu nehmen. Irgend jemand sang:

«Regen, Regen, zieh ab ins Tal,

komm zu uns ein ander Mal.»

Langsam, ganz langsam öffnete Laura das eine Auge. Ein paar ganz Eifrige hatten bereits ihre Decken zurückgeschlagen und begannen, sich anzuziehen. Im Bett nebenan lächelte Anne.

«Es regnet», sagte sie. «Das erste Mal, seit wir hier sind.»

«Nett», sagte Laura.

Gemächlich setzte sie sich auf und lauschte auf das Rauschen. Ich kann einen Ruhetag gut gebrauchen, dachte sie dankbar. Ich bin ganz heiser.

Seit ihrer Ernennung zum Schiedsrichter vor mehr als einer Woche war ihre Stimme von Tag zu Tag rauher geworden. Es war schon erstaunlich, wie manche Leute sich herumstreiten konnten, selbst wenn sie ganz genau wußten, daß sie im Unrecht waren. Mary zum Beispiel. Und Betty. Betty ganz besonders.

Laura streckte die Füße aus dem Bett und angelte nach ihren Pantoffeln. Man konnte ihr noch so oft sagen, daß sie getroffen worden war, sie wollte trotzdem recht behalten. Aber ein Schiedsrichter, dachte Laura überlegen, durfte sich nicht durch laute Stimmen und spöttische Bemerkungen aus der Ruhe bringen lassen. Gerechtigkeit mußte sein. Die Hauptsache war jedenfalls, daß sie jetzt schiedsrichtern konnte, und die andern wieder Freude am Schlagball hatten. Und niemand war mehr wütend auf sie.

Sie steckte die Füße in die Pantoffeln, stand auf und schaute aus dem mit Drahtnetz bespannten Fenster über ihrem Kopf. Wirklich ein herrlicher, grauer, verregneter Tag. Ein Tag zum Daheimbleiben, ruhig und behaglich. Wie einem das schöne Wetter auf die Nerven gehen konnte, wenn es so Wochen und Wochen anhielt!

«Wollen wir später Dame spielen?» sagte Laura zu Anne, während sie ihre Gummischuhe anzogen. Sie spielte fürs Leben gern Dame, doch bis jetzt hatte sie noch kaum Gelegenheit dazu gefunden.

«Einverstanden», lächelte Anne. «Und ich bekomme die Schwarzen, geht das?»

«Also gut.»

In Regenmänteln und Gummischuhen stiefelten die Mädchen in die windige, nasse Welt hinaus. Von allen Seiten kamen andere Gestalten — ebenfalls in Regenmänteln und Gummischuhen — kichernd durch den Regen.

In dem langen Speisesaal war es warm und geräuschvoll wie üblich. Es gab heißen Porridge und Zimttoast zum Frühstück. Es roch herrlich. Woher es wohl kommt, daß an einem kalten, regnerischen Tag eine heiße Mahlzeit immer noch viel besser schmeckt?

«Gertie, Gertie, nimm die Ellbogen vom Tisch,

damit ich sie dir nicht herunterwisch.»

sang eine Gruppe am andern Ende des Saals. Irgend jemand mußte beim Essen den Ellbogen auf den Tisch gestützt haben. Rasch warf Laura einen Blick auf ihre eigenen Ellbogen, die sich in lobenswerter Entfernung von der Tischkante befanden. Wie gut war’s doch, daß Mama immer eisern auf guten Tischmanieren bestand. Laura wäre vor Scham in die Erde versunken, wenn man so etwas von ihr gesungen hätte — und dazu noch vor dem ganzen Lager.

«Jenny, Jenny, nimm die Ellbogen vom Tisch,

damit ich sie dir nicht herunterwisch.»

Galt das womöglich ihrer Jenny? Sie schaute zum Tisch ihrer Schwester hinüber und sah, wie Jenny mit hochrotem Kopf vor ihrem Porridge saß.



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