Last Drinks by Andrew McGahan

Last Drinks by Andrew McGahan

Autor:Andrew McGahan [McGahan, Andrew]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Kunstmann
veröffentlicht: 2021-05-30T16:00:00+00:00


28

ES LAG AN MAYBELLENE, sie hatte mich blind gemacht.

Für die Welt, wie sie wirklich war.

Es war eine Verbrecherwelt, eine billige und banale Welt, in der Ausbeutung und, ja, Gewalt herrschten, und es hätte mir klar sein müssen, immer schon. Aber May gehörte dieser Welt an, und ich liebte sie, und mehr sah ich eigentlich nicht. Als Maybellene und den Alkohol.

Ich war nicht der Einzige. Mit Ausnahme von Lindsay erlagen wir ihr in gewisser Weise alle. Theoretisch war sie die unbedeutendste Figur im Syndikat, sie hatte am wenigsten investiert und war in keine unserer sonstigen Unternehmungen direkt involviert. Aber in anderer Hinsicht war sie das Zentralgestirn, um das wir alle kreisten. Jeremy verwöhnte sie wie ein Großvater, Marvin war schlau genug, ihre Intelligenz für seine Zwecke zu nutzen, Charlie vergötterte sie, und ich … ich trug sie dunkel in meinem Herzen und wartete.

Keiner von uns hätte sagen können, warum das so war. Vielleicht lag es an der Art ihres Beitritts. So widerstrebend, so misstrauisch. Wir Übrigen hatten nie auch nur einen Gedanken an die ethischen Dimensionen dessen verschwendet, was wir taten, doch Mays Voraussetzungen waren andere. May hatte auf ihrer strengen katholischen Schule als Teenager ein ernsthaftes und brennendes moralisches Gewissen entwickelt. Nicht katholische Moral, sondern Moral im umfassenderen Sinn. Zu der untrennbar Gerechtigkeit gehörte. Dass es die in Queensland nicht gab, erkannte sie früh. Einerseits sehnte sie sich danach zu entkommen. Nach Sydney oder Melbourne oder sogar nach Übersee. Irgendwohin. Doch Jeremy hatte recht. Zwar wäre May wohl nie im Kloster gelandet, aber sie besaß durchaus Sendungsbewusstsein. Die junge May brachte es nicht fertig, sich der gerechten Sache zu verweigern. Also konnte sie Queensland nicht den Rücken kehren. Gab es denn auf der ganzen Welt einen Ort, der sie mehr brauchte? In Brisbane zu bleiben war ihre erste Selbstaufopferungstat.

Deshalb das Studium und die politischen Fächer und der Aktivismus. Nur ging eben alles schief. Der Kreuzzug lief ins Leere. Die Menschen in Queensland wollten nicht gerettet werden, ihre Sendbrüder und -Schwestern verrieten die gemeinsame Sache, und sie selbst endete mutterseelenallein in einer Zelle. Die ganze Sorge, die Wut und der Wunsch nach Besserung wurden ihr um die Ohren geschlagen. Die Welt beharrte darauf zu sein, wie sie war. Kein Wunder, dass May bitter wurde. Kein Wunder, dass es Jeremy, als er sie – längst ein Erzverführer der Jugend – hofierte, so leichtfiel, sie umzudrehen.

Aber es war dafür ein Preis zu entrichten: Fortan lebte May im Zwiespalt. Während sie alle Glaubenssätze ihrer Jugend verriet, machte sie sich dennoch die entgegengesetzte Philosophie Marvins und Jeremys nie zu eigen. Sie tat, wie ihr geheißen, doch so sehr die beiden ihr auch einzuflüstern suchten, dass ihr Weg der einzige Weg, der einzig richtige Weg sei, May ließ sich nie restlos überzeugen, vermochte sich nie ganz zu vergeben. Und so blieb ihr letztlich gar kein Glaube, nur haltloser Zynismus. Sie war eine von uns und doch ewige Außenseiterin, deren neues Leben sie ebenso anwiderte, wie das alte sie desillusioniert hatte. Genau das aber verlieh ihr Macht. Sie war nicht des Geldes, nicht der Gier, nicht der Ausschweifungen wegen dabei.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.