Landgericht by Stefan Holtkoetter

Landgericht by Stefan Holtkoetter

Autor:Stefan Holtkoetter [Holtkoetter, Stefan]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3492960758
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2013-06-10T22:00:00+00:00


18

Das Rattern des Zuges hatte ihn wegdämmern lassen. Er schaukelte in dem weichen Polster seinem Ziel entgegen, bis irgendwann das leise Pfeifen des Signals ertönte und ihn sanft weckte. Er öffnete die Augen. Schräg gegenüber saß der Mann mit den Aknenarben, der aussah wie aus einem amerikanischen Kriegsfilm. Er hatte Marius offenbar gerade beobachtet, denn als sein Blick ihn traf, wandte er sich eilig ab und sah aus dem Fenster. Marius reckte sich und gähnte herzhaft. Der Mann mit den Narben nahm nun seine Zeitung, schlug sie auf und ließ sein Gesicht dahinter verschwinden. Seltsamer Typ, dachte Marius.

Er sah sich um. Auf einem der Klappsitze saß eine Frau mit einem Kopftuch und las in der Hürriyet. Etwas weiter entfernt der Alkoholiker, den Marius schon oft beobachtet hatte. Er starrte apathisch vor sich hin, in der Hand eine Bierdose, die jeden Moment aus seinem lockeren Griff zu rutschen drohte. Dann waren da noch ein paar Teenies im Abteil, die in einem Vierersitz saßen und mit sich selbst beschäftigt schienen. Weitere Fahrgäste waren nicht zu sehen.

Marius ließ seinen Blick weiterschweifen. Kaum vorstellbar, dass dies eine seiner letzten Fahrten im Regionalzug nach Gertenbeck war. Noch zwei Wochen, dann wäre er fort. Für immer, wie er hoffte.

Zu Hause in der Villa hatte sich kaum etwas geändert. Nicole und Roland wussten zwar von Nathalie, aber sie behielten ihr Wissen für sich. Den Eltern hatten sie noch nichts davon erzählt. Schließlich ahnten sie ja auch nichts von seinen Plänen, mit Nathalie abzuhauen. Vielleicht dachten die beiden ja, er und Nathalie wären bereits wieder getrennt. Bisher hatten seine Liebschaften kaum länger als einen Monat gedauert. Wie sollten sie den Unterschied erkennen? Marius glaubte nicht, dass ihm von dieser Seite Gefahr drohte.

Er würde in den nächsten zwei Wochen zu Hause ein und aus gehen, lächeln, sich an den Esstisch setzen und über das Unternehmen reden. Als wäre nichts gewesen. Und dann, eines Nachts, würde er verschwinden. Ohne ein Wort. Nathalie hatte zwar gemeint, er solle mit seinem Vater darüber sprechen. Ihm erklären, was er vorhabe, und es notfalls auf einen Streit ankommen lassen. Das wäre immer noch besser, als sich einfach stumm aus seinem Leben zu schleichen. Marius wusste natürlich, dass sie recht hatte. Trotzdem entschied er sich dagegen. Er hatte Angst vor dem, was passieren würde, wenn er seinem Vater von diesem Teil seines Lebens erzählte. Der alte Mann war Marius haushoch überlegen. Er besaß das Talent, Menschen zu manipulieren. Was, wenn sein Vater ihn dazu bringen würde, alles abzublasen? Das durfte er keinesfalls riskieren.

Außerdem war das, was Marius vorhatte, unverzeihlich. Er wollte nicht nur mit seiner Freundin durchbrennen. Das wäre vielleicht noch zu verzeihen gewesen. Nein, er wollte viel Schlimmeres: sein Erbe ausschlagen. Das Unternehmen. Wenn sein Vater das erfuhr, würde er ihn umbringen. Es war unmöglich, darüber zu sprechen.

Der Zug fuhr in seinen Bahnhof ein. Marius nahm die Tasche und stieg aus. Er atmete die warme duftende Abendluft ein. Machte sich auf den Weg zur Villa seiner Eltern. Wie oft würde er diese Strecke wohl noch gehen? Nicht mehr allzu oft, so viel war sicher.



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