Krokodil im Nacken by Klaus Kordon

Krokodil im Nacken by Klaus Kordon

Autor:Klaus Kordon [Kordon, Klaus]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Roman
ISBN: 9783407741790
Herausgeber: Beltz GmbH, Julius
veröffentlicht: 2008-08-19T22:00:00+00:00


3. Von Zauberhand

Ende September war Lenz aus dem Jugendheim entlassen worden, im Januar kündigte er in der Omnibusreparaturwerkstatt. Er musste fort von Richard Diek, er verdiente dort nichts. Und die Arbeit langweilte ihn. Außerdem befürchtete er, mit der Zeit ein zweiter Diek zu werden. Richard spürte das, war beleidigt und sprach die letzten Tage kein Wort mit ihm.

Auf dem Arbeitsamt fragten sie nach seinen Interessen. Er sagte, er lese gern und hätte eigentlich immer schon gern was mit Büchern zu tun gehabt. Na, da habe er aber großes Glück, antwortete die sanftäugige Sachbearbeiterin mit der Prinz-Eisenherz-Frisur. Gerade habe sie eine Anfrage reinbekommen, der VEB Militärverlag suche Mitarbeiter für den Versand. Er könne sich dort ja mal vorstellen.

Mit der Straßenbahn fuhr er zur Jannowitzbrücke und stellte sich im Militärverlag vor. Der Kaderleiter, ein ehemaliger Offizier, hoch gewachsen, gerade Körperhaltung, lockiges, früh ergrautes Haar, plauderte ein Weilchen mit ihm, fand ihn geeignet und stellte ihn ein. Als Packer. Eine Tätigkeit mit Perspektive, wie er sagte. Einer, der gern las, müsse ja nicht ewig Packer bleiben; man werde ihm helfen, sich zu qualifizieren. Wenn er wolle, könne er hier alles werden. Sogar Direktor.

Am 1. Februar begann Lenz im Militärverlag, drei Wochen später flog er dort schon wieder raus. Die Frauen in der Versandabteilung – bis auf eine Ausnahme alles ältere Damen, die einander nicht grün waren –, hatten ihn vom ersten Tag an misstrauisch beobachtet: Ein noch so junger Mann in ihrer Abteilung? Sollten sie für den etwa Mutter spielen? Anfangs hatte er nur über sie gelacht und sich in die Arbeit gestürzt; bis ihr Getue ihn immer mehr nervte. Er hatte sie sich nicht ausgesucht, sollten sie doch kündigen, wenn seine Anwesenheit ihnen nicht genehm war. Ihm verging das Lachen aber auch noch aus einem anderen Grund: Auch diese Arbeit langweilte ihn. Was denn, Tag für Tag nichts anderes tun als acht Stunden lang Bücher in Kartons verpacken, Rechnungen dazulegen, die Kartons verschnüren und Anschriften draufpappen? Da starb er ja vor Eintönigkeit. Und die Romane, die er da verpacken musste, spielten ja ewig nur unter Soldaten, lasen sich schlecht und wirkten unehrlich; wer das las und nicht einschlief, mit dem stimmte was nicht.

Einziger Lichtblick in diesem Alltagsgrau: Martin Fackelberg, der die mit Bücherkartons voll bepackten Paletten mit seinem Gabelstapler auf die Post-LKWs verlud und Wert darauf legte, nicht zum Versand, sondern zur Hofbrigade zu gehören. Drei Jahre älter als Lenz war er und ein Possenreißer mit einer Klappe von der Stirn bis zum Knie. In den Pausen mit Fackelberg fühlte Lenz sich nicht mehr allein unter Hyänen; dann rissen sie Witze und lachten über die immer empörter blickenden Frauen. Und an einem sonnenhellen Mittwoch dehnten sie ihre Mittagspause in der kleinen Kneipe gegenüber vom Verlag bis in die Abendstunden aus. Lenz hatte Vorschuss bekommen, die Arbeit war öde, die Zanktypen, wie Fackelberg das Wort »Xanthippen« aussprach, auf die Dauer nicht zu ertragen. In der düsteren Kiezkneipe aber verkehrten interessante Leute: gestrandete Künstler, Stammtischphilosophen, lustige Witwen und krankgeschriebene Proletarier. Die Diskussionsbeiträge wurden immer geistvoller, frecher und frivoler, die Witze immer dreister, die Zeit verging wie im Fluge.



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