Krebsstation by Alexander Solschenizyn

Krebsstation by Alexander Solschenizyn

Autor:Alexander Solschenizyn [Solschenizyn, Alexander]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-25T22:00:00+00:00


20

Schon lange hatte er sich verboten zu glauben! Freude konnte er sich nicht gestatten!

Ja, in den ersten Jahren im Lager freut sich der Neuling über jeden Befehl, in der Kleiderkammer zu erscheinen als bedeute dies die Freiheit. Über jedes Amnestiegerücht - als sei es die Posaune des Erzengels. Aber man holt ihn aus der Zelle, um ihm irgendein schauderhaftes Dokument vorzulesen und ihn dann in eine andere Zelle zu stoßen, ein Stockwerk tiefer, noch dunkler, mit der gleichen verbrauchten Luft. Die Amnestie wird vertagt - vom Jahrestag des Sieges auf den Jahrestag der Revolution, vom Jahrestag der Revolution auf den Parteitag, die Amnestie platzt wie eine Seifenblase oder betrifft nur Diebe, Gauner und Deserteure - statt jene, die an der Front gekämpft und gelitten haben.

Und jene Zellen des Herzens, die dazu da sind, die Freude zu empfinden, liegen brach und sterben ab. Und jene Kubikzentimeter in der Brust, wo der Glaube nistet, werden immer leerer mit den Jahren und verkümmern. Geglaubt hatte er übergenug, übergenug sich auf die Freiheit gefreut und auf die Rückkehr nach Hause-jetzt wünschte er sich nur in seine herrliche Verbannung zurück, zurück in sein geliebtes Usch-Terek! Ja, sein geliebtes Usch-Terek - erstaunlich, doch so, genau so erschien ihm sein Verbannungsort von hier, der Klinik, aus, von der großen Stadt, von dieser komplizierten Welt aus, der Oleg sich wohl nicht mehr anpassen konnte, es wahrscheinlich nicht einmal wollte.

Usch-Terek bedeutet »Drei Pappeln«. So wurde der Ort benannt nach drei uralten Pappeln, die in der Steppe aus einer Entfernung von zehn und noch mehr Kilometern zu sehen waren. Die Pappeln standen zusammen. Sie waren nicht schlank und gerade, sondern krumm. Sie mochten wohl an die vierhundert Jahre alt sein. Nachdem sie ihre Höhe erreicht hatten, strebten sie nicht noch höher hinauf, sondern wuchsen ausladend in die Breite und verflochten sich zu einem riesigen Schatten über dem Hauptkanal. Man sagte, es habe im Dorf noch mehr solcher Bäume gegeben, aber sie seien 1931 gefällt worden. Jetzt war die Zeit der Pappeln vorbei. Alle, die die Pionierjungen angepflanzt hatten, waren schon in den ersten Jahren von den Ziegen kahl gefressen worden. Nur die amerikanischen Ahornbäume an der Hauptstraße vor dem Gebietskomitee hatten sich gut entwickelt.

Soll man jenen Ort auf Erden lieben, wo man schreiend zur Welt kam, ohne zu begreifen, nicht einmal das, was Augen und Ohren wahrnahmen? Oder jenen anderen, wo man zum erstenmal hörte: »Los! Sie können ohne Bewachung gehen!« Allein gehen! Wohin man will! »Nimm dein Bett und wandle!«

Die erste Nacht in der Halbfreiheit! Noch hatte die Kommandantur ein Auge auf ihn und seine Leidensgenossen, in die Siedlung durften sie nicht, aber man erlaubte ihnen, unbeaufsichtigt in einem Schuppen auf dem Hof zu schlafen. Neben ihnen standen unbeweglich die Pferde und kauten die ganze Nacht leise mahlend ihr Heu - einen süßeren Klang gab es nicht.

Oleg konnte nicht einschlafen. Die harte Erde des Hofes war weiß vom Mondschein - und er stand auf und ging hin und her, kreuz und quer über den Hof, wie berauscht. Keine Wachttürme,



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