Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition) by Kempff Martina

Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition) by Kempff Martina

Autor:Kempff, Martina [Kempff, Martina]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper (com)
veröffentlicht: 2012-12-09T23:00:00+00:00


Kapitel 9

Eifeler Rehkeule

achtzehn Stunden bei siebzig Grad im Ofen gegart, dazu Bratapfel mit Calvadosrosinen und Mandelknödeln

»Oh Gott, ist mir schlecht!«

Der Schritt nach vorn ist zu viel der Anstrengung. Hermann stützt sich am Türrahmen ab und lässt den Kopf hängen, der zu schwer für den Hals geworden ist.

»Aspirin ist im Bad«, sage ich, kühl den Mann musternd, der meine Flasche Single Malt geleert hat und dessen Alibi ich gründlich anzweifele. Die Morgensonne ist erbarmungslos. Vor allem, wenn der Schnee sie reflektiert. Noch nie hat jemand, der gerade mein Bett verlassen hat, derart verwahrlost ausgesehen, nicht einmal Marcel.

Aber der zieht sich die Klamotten normalerweise vorher auch aus. Hermann scheint sich nur seiner Schuhe entledigt zu haben. Über die hat sich soeben Linus hergemacht, den Geräuschen im Flur nach zu urteilen. Hermanns bleiches Gesicht ist fast so zerknittert wie das Hemd, das aus der halb offenen Jeans heraushängt. Die struppigen grauen Haare stehen nach allen Seiten ab.

Aus glasigen blutunterlaufenen Augen blickt er mich an und schüttelt in Zeitlupentempo den Kopf.

»Kein Aspirin. Asthma.«

»Habe ich nicht.«

»Ich aber.«

Ich verstehe. Asthmatiker vertragen offenbar kein Aspirin. Eine interessante Information, aber von ihm hätte ich jetzt gern andere.

»Tee?«, frage ich und stehe auf.

»Bitte«, flüstert er, schlurft an den Tisch, sinkt auf einem Stuhl zusammen und streckt die Beine aus. Die leere Whiskyflasche fällt um und rollt klirrend über den Steinboden.

»Tschuldigung.« Er bückt sich, hebt die Ursache seines morgendlichen Elends auf, schüttelt sie fassungslos und murmelt: »Ganz leer …«

»Mehr habe ich nicht. Das war ein sehr teurer Whisky.«

»Was?«, fragt er unsicher.

Zum Glück ist meine Bemerkung wohl im Rauschen des Wasserkochers untergegangen. Im Zweifel für den Angeklagten. Zu dem er sich wegen seines löchrigen Alibis für mich zwar soeben qualifiziert hat, aber ansonsten kann ich keinen schlüssigen Grund für Hermanns Täterschaft anführen.

Fest steht nur, dass die Frau, die er liebte und hatte heiraten wollen, vor nicht einmal einem Tag brutal ermordet worden ist. Sollte er an ihrem Tod unschuldig sein, müsste ich ihm aus ganzem Herzen jeden verfügbaren Whisky in meinem Haus gönnen und ihm keine spitzen Bemerkungen, sondern all mein Mitgefühl zukommen lassen. Ein Frühstück auch, aber damit müssen wir warten, bis Marcel zurückgekehrt ist.

»Ach, Hermann«, sage ich, als ich die Teekanne mit kochendem Wasser ausspüle. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«

Also schütte ich sehr konzentriert dampfendes Wasser ins Teesieb mit den Early-Morning-Tea-Blättern.

»Normalerweise trinke ich nicht.«

»Ich weiß.« Ich stelle die Teekanne vor ihn auf den Tisch. »Aber das ist jetzt nicht normalerweise, Hermann. Es ist einfach nur furchtbar.«

»Ja.«

Er hebt den Kopf und blickt an mir vorbei aus dem Fenster. »Winter. So wie in mir drinnen. Alles kalt, alles stumm, leere Landschaft, ein Leichentuch. Gestern war noch alles grün. Da war noch Leben.«

Und du warst die ganze Zeit in Meerfeld? Aber die Frage stelle ich jetzt natürlich nicht.

»Regine war voller Leben«, sage ich.

»Sie war mein Leben. Auch wenn wir uns nur kurz kannten.«

Mit zitternden Händen greift er zur Teekanne.

»Was ist schon Zeit?«, sage ich hilflos und bin sehr dankbar, als ich eine Autotür vor meinem Haus zuschlagen höre. Mit Trauer kann ich nicht gut umgehen.



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