Kindersucher by Paul Grossman
Autor:Paul Grossman [Grossman, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-06-24T00:00:00+00:00
Die berühmte StraÃe der Attraktionen bestand aus kleinen Buden, von denen jede gruselige Blicke auf Absonderlichkeiten bot, wie man sie vom Zirkus her kannte. Schwertschlucker. Feuerschlucker. Die Jungs wollten unbedingt die bärtige Dame sehen, aber das untersagte Kraus. Er würde nicht zulassen, dass sie irgendeine unglückliche Frau angafften.
Da die freien Fleischhändler sich jetzt auf viele verschiedene Märkte verteilten, hatte er seine Taktik geändert und konzentrierte seine Beobachtung nun direkt auf den Viehhof, vor allem auf das Areal, wo es von Gerbern und Knochensiedern nur so wimmelte.
Dort hatte er eine ziemlich seltsame Begegnung gehabt.
Nach etwa einer Woche angestrengten Brütens über Karten und Zulassungspapieren hatte er einen Haufen Einsichten in eine Welt gewonnen, von deren Existenz er kaum etwas geahnt hatte. Gekleidet in den langen weiÃen Kittel eines Viehhof-Inspektors war er in der Lage, tagelang überall herumzuschnüffeln, konnte mit Leuten reden und erfuhr, wie ihre Betriebe funktionierten. Ein Geflecht aus miteinander verbundenen Gassen beherbergte Dutzende von verschiedenen Firmen, von denen die gröÃten, die Salzereien, ganze Häuserblocks in Beschlag nahmen. Er hatte etliche dieser riesigen Fabriken inspiziert, die teilweise Hunderte von Arbeitern beschäftigten. Lastwagen um Lastwagen mit frischen Kuhhäuten wurden jeden Tag aus den Schlachthäusern angeliefert. Sie wurden in riesigen Fässern eingeweicht, die Fleischreste wurden von Hand abgeschabt, dann wurden sie in groÃen Trommeln gewälzt und zum Trocknen aufgespannt. SchlieÃlich wurden sie zwischen gigantische Mangeln geschoben, gepresst, gefaltet und dann ausgeliefert. Aus dem Leder machte man alles Mögliche, von Uhrarmbändern bis hin zu Polstermöbeln.
Nicht ganz so groÃ, aber erheblich übelriechender, waren die Talgschmelzen, die Tierfett zu Kerzentalg verarbeiteten. Fässer mit dem stinkenden Fett wurden nach jeder gröÃeren Schlachtaktion angeliefert und zu Kerzen, Seifen, Rasiercremes und Lippenstiften weiterverarbeitet. Die Gelatinefabriken machten etwas ganz Ãhnliches; hier wurden Häute, Sehnen, Bänder und Hufe gekocht, und diese Flüssigkeit fand sich in so ziemlich allem wieder, angefangen von Nahrungsmitteln bis hin zu Shampoos. Hörner, Federn, Federkiele, Borsten. Nichts wurde verschwendet. Es gab sogar Firmen, die für die Kosmetikindustrie Ãle aus der Plazenta von Kühen herstellten. Etliche Darmschleimereien verarbeiteten Tierdärme zu dünnen, zähen Sehnen für Musikinstrumente oder Tennisschläger oder zu Fäden für die Chirurgie. Diese Firmen interessierten Kraus besonders.
Eines Tages nun stieà er in einer besonders stinkenden Gasse, in der einige kleine Betriebe lagen, die Gelatine und Knochen verarbeiteten, auf einen Mann in einem weiÃen, blutbespritzten Kittel. Kraus musste zweimal hinschauen. Der Bursche hatte eine schwarze Arbeitermütze auf dem Kopf, hockte breitbeinig auf einem Schemel und rauchte. Kraus glaubte eine Sekunde, es wäre der Ochse. Der Mann war beinahe ebenso groà und genauso furchteinflöÃend, aber je schärfer Kraus hinsah, desto sicherer war er, dass es sich nicht um den Ochsen handelte. Im Gegenteil, in ihm wuchs zunehmend die Ãberzeugung, dass es nicht einmal ein Er war. Zufällig trafen sich ihre Blicke, und Kraus sah, wie ein dunkler Schatten über das fleischige Gesicht huschte, bevor die Person sich zur Seite drehte.
»Verdammt heiÃ, was?«, sagte Kraus in dem Bemühen, ein Gespräch zu beginnen.
Die Antwort bestand aus einem unartikulierten Grunzen. Die Stimme der Person klang heiser und männlich. Auch die Gesichtszüge wirkten derb.
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