Kein Vogel singt um Mitternacht by Marie Louise Fischer

Kein Vogel singt um Mitternacht by Marie Louise Fischer

Autor:Marie Louise Fischer [Fischer, Marie Louise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2017-04-20T00:00:00+00:00


'Bist du wirklich mit ihm befreundet?'

'Natürlich nicht. Aber er sieht alle Polizisten als seine Freunde an und behandelt sie mit besonderer Zuvorkommenheit.'

'Ach so.'

'Das tun eigentlich alle Wirte, auch die, die etwas zu verbergen haben. Die tun dann besonders katzenfreundlich.'

'Was kann denn ein Wirt zu verbergen haben?'

'Eine Menge. In manchen Küchen werden Ausreißer ohne Papiere angestellt oder Ausländer ohne Arbeitsgenehmigung. Unter der Theke werden unverzollte amerikanische Zigaretten verkauft, oder der Handel mit Rauschgift wird zumindest geduldet. Bei Emilio ist von alledem nichts der Fall. Er ist absolut sauber, und deshalb fühle ich mich hier wohl.'

'Nicht, weil die Pizza so gut ist?' neckte sie ihn.

Er freute sich, daß sie zu scherzen versuchte. 'Du hast mich durchschaut', gab er lächelnd zu, 'selbst wenn Emilio krumme Dinge machte, würde ich es mir bei ihm wahrscheinlich doch schmecken lassen. Aber erzähl mir mehr!'

'Worüber?'

'Ich nehme an, daß du etwas auf dem Herzen hast.' 'Ach ja', sagte sie und lauschte nach allen Seiten.

'Hier kannst du ruhig sprechen!' beruhigte er sie. 'Niemand wird etwas mitkriegen. Außerdem interessiert sich ja auch niemand für uns.'

Aber ehe Beate noch ansetzen konnte, kam der Wirt zurück, brachte zwei Stoffservietten und goß aus einer kleinen Karaffe Rotwein in die Gläser.

'Alla salute!' sagte er freundlich. 'Cincin!' Man merkte ihm an, daß er gerne zu einem kleinen Schwatz geblieben wäre, aber die ausdruckslosen Mienen der beiden jungen Leute zeigten ihm, daß sie allein gelassen sein wollten. Also verzog er sich wieder.

Beate und Peter tranken sich zu. Mit Vergnügen beobachtete er, wie ihr helles Gesicht, das erst ganz schwach von der Frühjahrssonne getönt war, Farbe bekam.

'Ich habe das Zimmer meiner Mutter durchsucht', bekannte sie.

Anscheinend hörte er sich mit großer Aufmerksamkeit an, was sie zu berichten hatte, aber tatsächlich war er mit seinen Gedanken doch nicht ganz bei der Sache. Er überlegte, was ihn an ihr so fesselte, denn er gestand sich ein, daß er von ihr fasziniert war. Ungeschminkt, das lange blonde Haar im Nacken zusammengebunden, bescheiden, fast ein wenig schäbig mit verwaschenen Jeans, einem ausgeblichenen Sweatshirt und einem Blouson gekleidet, wirkte sie wie eine der unzähligen Schulmädchen und Studentinnen, die in München herumliefen. Ja, ihre klaren grünen Augen, die ihre Empfindungen stärker ausdrückten als Worte, waren schön. Aber Mädchen mit schönen Augen gab es zu Hunderten. Konnte es sein, daß ihre Besessenheit ihn so beeindruckte? Dann würde ihr Zauber verflogen sein, sobald sie sich mit dem Tod ihrer Mutter abgefunden hatte.

Aber das konnte er nicht glauben. Dieser Wunsch, dieses unstilllbare Verlangen, den Dingen auf den Grund zu gehen, würde ihr wohl immer bleiben. Das entsprach auch seinem eigenen Wesen, und es war der Grund, warum er sich für die Polizei entschieden hatte. Ihre Art, methodisch vorzugehen, imponierte ihm. Aber was ihm ganz besonders gefiel, war, daß sie keine Spur von Gefallsucht zeigte. Es schien ihr wirklich nur um die Sache zu gehen. Sie trug ihre Schönheit, die man erst auf den zweiten Blick entdeckte, so natürlich, als wäre sie für sie völlig selbstverständlich, etwas, das man nicht hervorzuheben braucht. Nie zeigte sie eine Spur von Koketterie, nie versuchte sie den leisesten Flirt.



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