Kein Paar wie wir by Eberhard Rathgeb

Kein Paar wie wir by Eberhard Rathgeb

Autor:Eberhard Rathgeb
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783446242715
Herausgeber: Carl Hanser Verlag München
veröffentlicht: 2013-01-28T05:00:00+00:00


13

Sie waren nicht sentimental oder romantisch, vergeblich wartete man bei ihnen auf Gefühlsausbrüche. Sie waren gefasst, sie gaben nicht mehr von sich preis, als ihnen lieb war. Ihre Seelen glichen zwei ordentlich gepackten Koffern, die nicht geöffnet wurden. Die beiden Frauen sahen keinen Grund, wieso sie in ihrem Seelenleben herumwühlen sollten, sie fanden, dass es sich nicht lohne und keinen Sinn habe, das Unterste zuoberst zu kehren. Sie erinnerten an altertümliche Porträts, die akkurat nach der Natur ausgeführt worden waren, auf denen kein Haar und keine Hautpore zu fehlen schienen. Doch trotz aller Lebendigkeit, die der Maler dank seinem Können einzufangen in der Lage gewesen war, machten die Abgebildeten einen leblosen Eindruck. Wenn man die Gesichter auf den Leinwänden berührte, zuckte man mit dem Finger zurück, da ihnen jene Wärme fehlte, die der geschickte Auftrag der Farben versprochen hatte.

»Wir haben sie alle gehört«, sagte Vika, »Furtwängler, Kleiber, Busch, Karajan, Klemperer und die Callas.«

»Die Callas«, wiederholte Ruth.

Sie ist nicht alt geworden, aber sie war schön, dachte sie.

»Mutter wusste nicht einmal, wer die Callas war«, sagte Vika. »Dabei war sie eine Weltberühmtheit. Die Callas kannte jeder.«

»Wie hieß die Oper …?«, fragte Ruth.

»Es war die Norma von Bellini.«

»Ah, die Norma.«

»Im Sommer 1949«, sagte Vika. »Wir waren jung.«

Und jetzt sind wir alt, dachte sie. Zwei alte Zimmerpflanzen.

»Wir liebten die Oper«, sagte Ruth.

Die Garderoben der Frauen, dachte sie. In der Oper trug ich mein erstes Kleid mit einem tiefen Ausschnitt. Mutter wäre in Ohnmacht gefallen, wenn sie mich gesehen hätte. Mutter war bis zum Kinn zugeknöpft, außen und innen verschlossen, eine schwarze Truhe. Die Männer starrten in meinen Ausschnitt, kaum dass sie mir in die Augen geschaut hatten. Ich ließ sie gewähren, ich genoss insgeheim die Berührungen ihrer Blicke. Diese Zeiten sind lange vorbei. Ich schaue mich nicht mehr an. Nur morgens und abends ein flüchtiger Blick in das Gesicht, das mir der Spiegel zeigt, und ich frage mich, ob ich das bin, und wer ich war.

»Wir liebten die Oper mehr als das Theater«, sagte Vika.

»Aber in New York gingen wir oft ins Theater.«

»In die Oper, ins Kino und ins Theater. Einmal in der Woche.«

Wir mussten dabei kein schlechtes Gewissen haben, dachten sie. Niemand wartete auf uns zuhause. Wir kamen so spät in unser Loft zurück, wie es uns gefiel. Keiner machte uns Vorwürfe, dass wir ausgingen, keiner beobachtete uns, wenn wir nach Hause kamen. Wir nahmen auf dem Rückweg ein Taxi. Nachts war es für zwei junge Frauen sicherer, sich in einem Taxi nach Hause bringen zu lassen, obwohl wir in einem guten Viertel wohnten. Schon damals wohnten wir in einem guten Viertel. Hier kann eine junge Frau nachts nicht alleine durch die Straßen laufen. Es ist zu gefährlich. Wegen der Armen. Sie haben nichts zu verlieren.

»Wir verdienten unser eigenes Geld«, sagte Ruth. »Wir waren keinem Menschen Rechenschaft schuldig.«

Die Eltern, dachten sie, waren versorgt. Vater bekam eine hohe Pension. Um die Eltern mussten wir uns finanziell keine Sorgen machen. Sie reisten nicht, obwohl sie das Geld dazu hatten. Sie blieben zuhause und warteten auf uns.



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