Karneval der Toten by Martha Grimes

Karneval der Toten by Martha Grimes

Autor:Martha Grimes [Grimes, Martha]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783442465729
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2004-01-02T00:00:00+00:00


24

Alice Miers saß im Wohnzimmer ihres schönen Hauses in Belgravia, blickte angestrengt, ja mit zusammengekniffenen Augen, durch ihre schmale Lesebrille auf das Foto und reichte es Richard Jury dann unter Kopfschütteln zurück. »Ich weiß nicht, Superintendent. Meines Wissens habe ich sie noch nie gesehen.«

Jury nahm das Foto wieder an sich. Er hatte sich immer gefragt, was dieses einschränkende »meines Wissens« eigentlich bedeutete. Für ihn klang darin ein gewisses Zögern an, als ob die befragte Person das Gefühl hatte, irgendetwas von außen Vermittelndes, ein etwas breiter gefasstes »Wissen« würde es erklären.

»Sind Sie sicher?«

»Nein. Aber nur, weil ich mir bei nichts absolut sicher bin.« Sie lächelte.

Jury erwiderte ihr Lächeln, nur dass seines nicht so schwach und matt war.

»Sie hat etwas mit meiner Tochter zu tun?« »So scheint es.«

»Und Declan kann sich nicht denken, wer sie ist?«

»Nein. Vielleicht ist sie Teil der Vergangenheit.«

»Das leuchtet ein.« Sie musterte ihn erwartungsvoll, das Kinn in die Hand geschmiegt.

Wieder lächelte er. Dass sie sich auf seine Kosten amüsierte, war ihm ziemlich egal. Er berichtete ihr, was die Polizei bisher über die Tote in Erfahrung gebracht hatte.

Alice Miers lehnte sich zurück. »Ungewöhnlich ist es nicht, dass Mary einer alten Bekannten begegnet sein könnte, aber dass sie Declan angelogen hätte, ist ungewöhnlich. Roedean. So eine idiotische Lüge! Ist doch ganz leicht nachzuprüfen, wie Sie ja bereits wissen.«

»Wieso hätte Ihre Tochter denn annehmen sollen, dass es jemand nachprüfen würde? Doch bestimmt nicht ihr Gatte, ein Mensch mit großem Respekt vor der Privatsphäre anderer. Und eine polizeiliche Ermittlung hätte sie ja auch nicht vorausahnen können. Dann leuchtet die >alte Schulkameradin< doch wieder ein.«

»In Bezug auf Declan haben Sie Recht. Das ist einer seiner großen Vorzüge. Und er hat viele.« Sie lehnte sich zurück, die Hände im Schoß gefaltet. »Vielleicht sollte man ihm gegenüber deshalb lieber nicht zu Ausflüchten greifen.« Sie wandte das Gesicht zum Fenster und dem dahinter liegenden Garten. »Uns kommt das Leben doch so unstet vor - da endet etwas, etwas anderes beginnt, wird abgebrochen, dann kommt wieder etwas anderes - Heirat, Scheidung, Wiederheirat, ein Kind... der Tod.« An dieser Stelle hielt sie inne und betrachtete das Feuer. »Und nichts durchzieht es, wie es einem scheint. Aber bei einer Familie gibt es doch etwas, was sie durchzieht, etwas hält sie zusammen. Eine Familie, das ist sittlicher Halt.«

»Aber wenn man sich mit anderen Familienmitgliedern nicht verträgt?«

Sie verdrehte die Augen, schöne, graue Augen, die tief in ihren Höhlen lagen und die Wangenknochen dadurch noch stärker betonten. »Sagen Sie jetzt bloß nicht funktionsgestört«? Früher hieß es >unglücklich<, bei Tolstoi jedenfalls. Aber von diesen guten alten Wörtern ist ja keines mehr wohlgelitten. Vage sind sie, abstrakt. Aber funktionsgestört« ist ja so konkret, nicht wahr? Es klingt nach einem Fehler in der Elektronik eines Autos. Auf ein so vielgestaltiges Konzept wie eine Familie angewandt, bedeutet es jedoch einfach nur >unglücklich<. Was ich mit meiner flammenden Rede hier bloß sagen will: die Familie ist wichtig. Es erstaunt mich, wenn allgemein erwartet wird, Familienmitglieder hätten sich zu vertragen, und wenn sie es nicht tun, haben sie einen enttäuscht.



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