Karlchen by Probst Anneliese
Autor:Probst, Anneliese [Probst, Anneliese]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
In der Nähe der Kaufhalle sieht er den Hund!
Denkt: Axel!
Denkt: Der hat es besser als ich, die Alten freuen sich wenigstens über ihn, aber Mutter...
Denkt: Fettes Vieh, dem wische ich eins aus, soll auch mal sehen, wie es ist!
Wie was ist?
Nur so. Wie es eben ist, das versteht doch jeder!
Im gleichen Augenblick angelt er sich einen Bindfaden aus der Hosentasche, schleicht von hinten an Axel heran. Der Hund schnüffelt ein bißchen dumm herum, hat seinen Herrn verloren, findet sich allein nicht zurück. Jetzt zerrt Wolfgang ihn hinter sich her zum Stadtrand, und dann läßt er ihn dort allein zurück, rennt einfach weg! Wenn er einen Spurt zulegt, kriegt ihn der Dackel nie im Leben ein! Dann soll der Hund beweisen, daß er ein Hund ist und kein ausgestopftes Couchtier, daß er was draufhat, Fährtenaufnehmen und so, mit etwas Intelligenz müßte er es schaffen, wenn nicht — was geht es ihn an?
Ziemlich brutal zieht er Axel mit sich, wundert sich über die Kraft, die in dem Tier steckt — der läßt sich lieber über den Boden schleifen, als daß er seine abgenutzten Pfoten bewegt und hält erst inne, als er die Stadt hinter sich gelassen hat. Hier läuft die asphaltierte Straße in einen breiten Schotterweg aus, rechts und links des Straßenrandes türmen sich Bauschutt und Abfall, Sand- und Kieshaufen sind breitgefahren. Nach etwa hundert Metern beginnen die Felder, sie reichen bis zum Horizont. Kartoffel- und Rübenäcker, die Getreidefelder sind längst abgeerntet und tragen die Zwischenfrucht. Plötzlich gibt es Weite, die das Auge inmitten der Stadt vergeblich sucht, plötzlich ist das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen zu hören, plötzlich gewinnt die Sonne ein volleres Licht, der Geruch von Erde und Gras drängt den Gestank der Autoabgase zu den Häuserriesen zurück. Kleine Baumgruppen stehen wie Ausrufungszeichen hier und dort inmitten der Felder, an ihnen kann sich der Blick orientieren, so bleibt die Weite immer noch faßbar.
Wolfgang wirft die Schulmappe mit Schwung ins Gras, knüpft den Bindfaden von Axels Halsband, versetzt dem Tier einen leichten Klaps und sagt: „Hau ab, los schon!“ Dann läßt er sich ins Gras des Straßengrabens fallen, breitet die Arme aus, atmet erleichtert und schließt die Augen. Nachher wird er sein Frühstücksbrot essen. Wann er heimkehrt, weiß er noch nicht. Er wird leider nach Haus gehen müssen, er ist viel zu feige, als daß er abhauen könnte. Vielleicht, wenn er wüßte, wo Vater jetzt wohnt. Aber so...
Plötzlich stößt ihn etwas Kaltes, Nasses ins Gesicht. Als er erstaunt die Augen öffnet, starrt er in ein schmales, langes Hundegesicht, das sich über ihn beugt und ihn beschnüffelt. Ehe Wolfgang es hindern kann, leckt eine rauhe Zunge über seine Stirn, im nächsten Augenblick rollt sich der Hund zusammen, dreht sich ein paarmal wie ein Kreisel um sich selbst und plumpst schwer und zufrieden auf den Körper des Jungen. Die schwarzen Augen blinzeln und schließen sich, ein tiefer Atemzug — und schon schläft Axel den festen Schlaf gesunder Erschöpfung.
Eine Weile bleibt Wolfgang bewegungslos liegen. Der warme Körper des Hundes bedeutet nun wirklich ein Gewicht, das auf ihm lastet, aber es bedrückt ihn nicht.
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