Karl Marx: Sein Leben und sein Jahrhundert (German Edition) by Sperber Jonathan

Karl Marx: Sein Leben und sein Jahrhundert (German Edition) by Sperber Jonathan

Autor:Sperber, Jonathan [Sperber, Jonathan]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406640971
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2013-03-27T23:00:00+00:00


Friedrich Engels 1857 als respektabler und wohlhabender Geschäftsmann

In anderen Momenten beurteilte Marx das Gebaren der Bank als korrekt, als gutes Demonstrationsbeispiel für einen auf die Krise zusteuernden Kapitalismus. 1857 gewann diese Auffassung bei Marx die Oberhand. Die Bank investierte vorwiegend in Industrieunternehmen und Eisenbahngesellschaften, entweder indem sie deren Börsengänge finanzierte oder indem sie Aktien bestehender, an der Pariser Börse zugelassener Firmen kaufte. Was Marx an diesen Finanzoperationen faszinierte, war das, was wir heute den von der Bank angewandten Hebeleffekt nennen würden. Ihre Statuten erlaubten es ihr, maximal das Zehnfache ihres Eigenkapitals an Krediten aufzunehmen. Ein davon fast schwärmerisch faszinierter Marx war überzeugt, dieses Geschäftsgebaren bereite den Boden für die große Krise: Die gehebelten Investitionen der Bank pumpten die Produktionskapazität der französischen Industrie erheblich auf, weit über die Fähigkeit des Marktes hinaus, alle ihre Produkte aufzunehmen. Dazu kam, dass die Bank ihr geliehenes Kapital nicht zuletzt in Aktien investierte; diese konnten im Zuge einer Wirtschaftskrise, die infolge der von der Bank angeheizten Überproduktion ausbrechen würde, drastisch an Kurswert verlieren, sodass die Bank die Forderungen ihrer Gläubiger nicht mehr bedienen konnte.[62]

Engels legte seine Version des Zusammenhangs zwischen Kredithebel und Überproduktion vor, die auf seinen Erfahrungen und Beobachtungen in der englischen Textilproduktion beruhte, wo die meisten Unternehmen Familienbetriebe oder Personengesellschaften waren. Diese Firmen stellten, wie Engels konstatierte, Wechsel aus, für die sie ihre Vorräte an Rohstoffen oder fertiger Lagerware als Sicherheit hinterlegten. Mit den auf diese Weise generierten Geldmitteln konnte eine «mercantile community» nach Berechnungen von Engels ihr Kapital und damit ihre Produktion um 50 Prozent steigern. Die Wechsel waren faktisch Kredite mit kurzer Laufzeit, und sie wurden im Rhythmus ihres Fälligwerdens erneuert, was so lange gut ging, bis die durch die Überproduktion ausgelöste Wirtschaftskrise die Gläubiger der Firmen veranlasste, die sofortige Rückzahlung ihrer Kredite zu verlangen.[63] Die empirische Basis dieser Theorie, die ein Übermaß an Hebelwirkung als Auslöser einer Wirtschaftskrise betrachtete, bildeten die Erfahrungen, die Marx und Engels in ihrem jeweiligen bürgerlichen Berufsleben sammelten. Es waren weniger die philosophischen Ideen eines Hegel oder die ökonomischen Theorien eines Ricardo, die sie zu diesen Einsichten inspirierten, als ihre Arbeit als Wirtschaftskolumnist beziehungsweise als Großhändler in der Baumwollbranche.

Auch Marx’ zweiter Erklärungsansatz für die Rezession von 1857 ging auf seine journalistische Arbeit zurück, in diesem Fall auf seine Analyse der internationalen Ausbreitung der Krise durch das Röhrensystem der Zahlungsbilanzen. Die Krise sprang von den Gläubigerländern auf ihre Schuldner über, da Erstere von Letzteren ihre Anleihen zurückforderten. Die Schuldnerländer waren gezwungen, ihrerseits ihre Schuldner zur Darlehensrückzahlung aufzufordern, oder zumindest mussten ihre Zentralbanken die Zinsen erhöhen, um das Abfließen von Geldern zu verhindern. Als die Bank von England den Diskontsatz auf neun Prozent erhöhte, reagierte Marx geradezu enthusiastisch, sah er darin doch einen Beweis dafür, dass die Krise das Herz des Weltkapitalismus erreicht hatte und eine neue Revolution nicht mehr weit sein konnte. Marx beschäftigte sich zwar primär mit den Handels- und Kreditbeziehungen zwischen den europäischen Ländern sowie zwischen Europa und den Vereinigten Staaten, doch floss in seine Analyse auch ein globaler Aspekt ein: Er analysierte das hartnäckige



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