Just Kids by Patti Smith

Just Kids by Patti Smith

Autor:Patti Smith
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch
veröffentlicht: 2010-03-12T05:00:00+00:00


Ich wachte auf, und er war fort. Auf dem Tisch lag ein Zettel für mich. »Konnte nicht schlafen«, stand da, »warte auf mich.« Ich räumte auf und schrieb gerade einen Brief an meine Schwester, als er in heller Aufregung ins Zimmer kam. Er sagte, er müsse mir unbedingt etwas zeigen. Ich zog mich rasch an und folgte ihm zu unserem Atelier. Wir rannten die Stufen hoch.

Beim Eintreten sah ich mich rasch im Raum um. Die Energie darin war beinahe zu greifen. Spiegel, Glühbirnen und Teile von Ketten waren auf einer Bahn von schwarzem Wachstuch ausgebreitet. Es war eine neue Assemblage, er wollte mir jedoch speziell eine andere Arbeit zeigen, die an der Wand mit den Halsketten lehnte. Seit er das Interesse an Malerei verloren hatte, hatte er keine Leinwand mehr aufgespannt, aber er hatte einen der Keilrahmen behalten. Nun hatte er ihn vollständig mit Bildern aus seinen Schwulenmagazinen beklebt. Der Rahmen war rundum mit Gesichtern und Torsos junger Männer bedeckt. Robert war ganz zittrig vor Aufregung.

»Das ist gut, oder?«

»Ja«, sagte ich, »das ist genial.«

Es war ein relativ schlichtes Stück, von dem jedoch eine innere Kraft ausging. Nichts daran war überflüssig: als Objekt perfekt.

Der Fußboden war mit Papierschnipseln übersät. Der Raum stank nach Klebstoff und Firnis. Robert hängte den Rahmen an die Wand, steckte sich eine Zigarette an, und wir betrachteten ihn schweigend.

Es heißt, Kinder unterscheiden nicht zwischen belebten und unbelebten Dingen, aber ich glaube, das tun sie sehr wohl. Ein Kind haucht einer Puppe oder einem Zinnsoldaten magischen Lebensatem ein. Der Künstler beseelt sein Werk wie ein Kind sein Spielzeug. Robert beseelte Dinge durch seinen Schöpfungsdrang, kraft seiner göttlichen sexuellen Energie, ob in der Kunst oder im Leben. Er verwandelte einen Schlüsselbund, ein Küchenmesser oder einen schlichten Holzrahmen in Kunst. Er liebte seine Arbeit, und er liebte seine Dinge. Einmal tauschte er ein Bild gegen ein Paar Reitstiefel ein – absolut zu nichts zu gebrauchen, aber von fast überirdischer Schönheit. Er wichste und polierte die Stiefel mit der Hingabe eines Stallburschen, der eine Stute striegelte.

Diese Liebe zu edlem Schuhwerk fand ihren Höhepunkt eines Abends, als wir aus dem Max’s zurückkamen. Wir bogen gerade um die Ecke der Seventh Avenue, da stießen wir auf ein Paar Krokodillederschuhe, die strahlend schön auf dem Bürgersteig standen. Robert hob sie auf, drückte sie an seine Brust und erklärte sie zum Geschenk des Himmels. Sie waren dunkelbraun, mit seidenen Schnürsenkeln, und scheinbar völlig ungetragen. Auf Zehenspitzen fanden sie den Weg in eine Assemblage, die Robert aber oft demontierte, weil er die Schuhe manchmal brauchte. Mit einem Knäuel Papier in den Spitzen passten sie einigermaßen, waren aber doch nicht ganz das Richtige zu Jeans und Rollkragenpullover. Also schlüpfte Robert aus dem Pullover in ein schwarzes Netz-T-Shirt, hängte einen großen Schlüsselring an seine Gürtelschlaufe und ließ die Strümpfe weg. So war er dann bereit für einen Abend im Max’s, ohne Geld fürs Taxi, jedoch mit einem Kleinod an den Füßen.

Die Nacht der Schuhe, wie wir sie im Nachhinein tauften, wertete Robert als gutes Omen, dass wir auf dem richtigen Weg waren, wenn ihn auch viele Wege kreuzten.



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