Jenseits von Gut und Böse by Friedrich Wilhelm Nietzsche

Jenseits von Gut und Böse by Friedrich Wilhelm Nietzsche

Autor:Friedrich Wilhelm Nietzsche [Nietzsche, Friedrich Wilhelm]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Philosophy, German
veröffentlicht: 2004-12-31T16:00:00+00:00


208.

Wenn heute ein Philosoph zu verstehen giebt, er sei kein Skeptiker, - ich hoffe, man hat Das aus der eben gegebenen Abschilderung des objektiven Geistes herausgehört? - so hört alle Welt das ungern; man sieht ihn darauf an, mit einiger Scheu, man möchte so Vieles fragen, fragen… ja, unter furchtsamen Horchern, wie es deren jetzt in Menge giebt, heisst er von da an gefährlich. Es ist ihnen, als ob sie, bei seiner Ablehnung der Skepsis, von Ferne her irgend ein böses bedrohliches Geräusch hörten, als ob irgendwo ein neuer Sprengstoff versucht werde, ein Dynamit des Geistes, vielleicht ein neuentdecktes Russisches Nihilin, ein Pessimismus bonae voluntatis, der nicht bloss Nein sagt, Nein will, sondern - schrecklich zu denken! Nein thut. Gegen diese Art von "gutem Willen" - einem Willen zur wirklichen thätlichen Verneinung des Lebens - giebt es anerkanntermaassen heute kein besseres Schlaf- und Beruhigungsmittel, als Skepsis, den sanften holden einlullenden Mohn Skepsis; und Hamlet selbst wird heute von den Ärzten der Zeit gegen den "Geist" und sein Rumoren unter dem Boden verordnet. "Hat man denn nicht alle Ohren schon voll von schlimmen Geräuschen? sagt der Skeptiker, als ein Freund der Ruhe und beinahe als eine Art von Sicherheits-Polizei: dies unterirdische Nein ist fürchterlich! Stille endlich, ihr pessimistischen Maulwürfe!" Der Skeptiker nämlich, dieses zärtliche Geschöpf, erschrickt allzuleicht; sein Gewissen ist darauf eingeschult, bei jedem Nein, ja schon bei einem entschlossenen harten Ja zu zucken und etwas wie einen Biss zu spüren. Ja! und Nein! - das geht ihm wider die Moral; umgekehrt liebt er es, seiner Tugend mit der edlen Enthaltung ein Fest zu machen, etwa indem er mit Montaigne spricht: "was weiss ich?" Oder mit Sokrates: "ich weiss, dass ich Nichts weiss". Oder: "hier traue ich mir nicht, hier steht mir keine Thür offen." Oder: "gesetzt, sie stünde offen, wozu gleich eintreten!" Oder: "wozu nützen alle vorschnellen Hypothesen? Gar keine Hypothesen machen könnte leicht zum guten Geschmack gehören. Müsst ihr denn durchaus etwas Krummes gleich gerade biegen? Durchaus jedes Loch mit irgend welchem Werge ausstopfen? Hat das nicht Zeit? Hat die Zeit nicht Zeit? Oh ihr Teufelskerle, könnt ihr denn gar nicht warten? Auch das Ungewisse hat seine Reize, auch die Sphinx ist eine Circe, auch die Circe war eine Philosophin." - Also tröstet sich ein Skeptiker; und es ist wahr, dass er einigen Trost nöthig hat. Skepsis nämlich ist der geistigste Ausdruck einer gewissen vielfachen physiologischen Beschaffenheit, welche man in gemeiner Sprache Nervenschwäche und Kränklichkeit nennt; sie entsteht jedes Mal, wenn sich in entscheidender und plötzlicher Weise lang von einander abgetrennte Rassen oder Stände kreuzen. In dem neuen Geschlechte, das gleichsam verschiedene Maasse und Werthe in's Blut vererbt bekommt, ist Alles Unruhe, Störung, Zweifel, Versuch; die besten Kräfte wirken hemmend, die Tugenden selbst lassen einander nicht wachsen und stark werden, in Leib und Seele fehlt Gleichgewicht, Schwergewicht, perpendikuläre Sicherheit. Was aber in solchen Mischlingen am tiefsten krank wird und entartet, das ist der Wille: sie kennen das Unabhängige im Entschlusse, das tapfere Lustgefühl im Wollen gar nicht mehr, - sie zweifeln an der "Freiheit des Willens" auch noch in ihren Träumen.



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