Jenseits aller Grenzen by Follath Erich
Autor:Follath, Erich
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-DVA Sachb./Belle.
veröffentlicht: 2016-01-29T14:05:18+00:00
Achtes Kapitel
Samarkand – Entlarvend
Ibn Battuta verlässt Konstantinopel nach fünf Wochen Aufenthalt. Viel spricht dafür, dass er gern noch länger geblieben wäre: Die Stadt gehörte zu den interessantesten seiner bisherigen Reise, er hatte eine schöne Residenz und genoss mit seiner vom Herrscher abgestellten Eskorte alle Privilegien. Und vor allem: Er konnte die Viertel der faszinierenden Stadt auf eigene Faust erkunden.
Die fünfhundert Mann, die gemeinsam mit dem Maghrebiner die Prinzessin begleitet haben, wollen zurück in ihre Heimat, und sie rechnen höchstwahrscheinlich damit, die schwangere Bayalun wieder zu ihrem Mann mitnehmen zu können. Doch die Prinzessin hat Gefallen an ihrem alten Zuhause gefunden, sie will auf unabsehbare Zeit bei ihrem Vater in Konstantinopel bleiben. »Sie hing noch ihrer früheren Religion an«, schreibt Ibn Battuta kühl, lässt weder Vorwurf noch Anerkennung durchscheinen. Für den Mann aus Tanger ist es selbstverständlich, sich den Rückkehrern anzuschließen, er will den Sultan nicht verärgern und verspricht sich zudem viel von dessen Unterstützung für die Weiterreise Richtung Indien. Vielleicht aus schlechtem Gewissen oder auch aus schierer Dankbarkeit beschenkt die Dame ihren jungen Beschützer zum Abschied großzügig: Sie besorgt ihm Geld, Pferde und Nahrungsmittel.
Gemeinsam mit den Reitern des Sultans macht Ibn Battuta sich auf den Weg. Es wird ein Trip mit ungewohnten Hindernissen: Der Reisende, der bisher in seinem Leben so oft unter der sengenden Wüstenhitze gelitten hat, lernt jetzt das Klima von der anderen Seite kennen – bittere Kälte schlägt ihm und dem Trupp im Norden Griechenlands und am Schwarzen Meer entgegen. Für den Maghrebiner sind die Minusgrade und der eisige Sturm schlimmer als alles andere. »Ich war gewohnt, meine religiösen Riten mit heißem Wasser zu vollziehen, und ich hielt mich dazu in der Nähe eines Feuers auf. Doch das Nass gefror in Sekundenschnelle«, berichtet er. »Als ich mein Gesicht wusch, rannen die Tropfen meinen Bart hinunter und wurden sofort zu kleinen Eiszapfen. Wenn ich mich schüttelte, fielen sie wie Kristalle zu Boden.«
Ibn Battuta beschreibt dann bis ins kleinste Detail, wie er sich gegen die Kälte zu wappnen versucht: Er trägt zwei Paar Socken übereinander, zwei Hosen, schlingt sich in drei Pelzmäntel, seine Füße stecken in Stiefeln aus Pferdeleder, um die er zusätzlich ein Bärenfell geschlungen hat. Das alles schränkt ihn so ein, dass er sich kaum noch bewegen kann. Er mag eine komische Figur machen, und doch ist ihm alles andere als lustig zumute. Ibn Battuta hat Angst vor dem Erfrieren. Um diesem Schicksal zu entgehen, nimmt er manches in Kauf. »Es war mir unmöglich, selber ein Pferd zu besteigen, meine Bediensteten mussten mich in den Sattel hochhieven«, heißt es im Rihla.
Schließlich schaffen sie es nach Astrachan. Dann ziehen sie, gut zweihundert Kilometer nördlich, die Wolga hinauf, bis nach Neu-Sarai, die Hauptstadt des Dschingis-Khan-Erben Uzbeg. Ibn Battuta ist sehr angetan von der riesigen Metropole, die ihm »fast grenzenlos und vollgestopft mit Menschen« erscheint. Einen halben Tag lang läuft er von einem Ende der Stadt zum anderen, »durch eine Ansammlung dichter, intakter Häuserzeilen, die nicht einmal von Gärten getrennt sind«. Die meisten Gebäude sind aus Holz, Ibn Battuta zählt allein dreizehn größere Moscheen.
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