Jener Sommer voller Küsse by Johanna Marthens

Jener Sommer voller Küsse by Johanna Marthens

Autor:Johanna Marthens [Marthens, Johanna]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-20T16:00:00+00:00


Der Rückschlag kam am nächsten Morgen in Form eines Gendarms, der ernst und kühl vor Julie stand.

»Was ist passiert?«, fragte Julie erschrocken, als sie die Tür öffnete und ihn erblickte.

»Guten Morgen. Es liegt eine Anzeige gegen Sie vor«, erwiderte der Mann ohne Umschweife, wobei er sich offensichtlich Mühe gab, sehr gemessen und wichtig zu wirken. Er war ein junger Mann Mitte zwanzig, der noch nicht viel von der Welt gesehen hatte, aber geradlinig seinen Weg gehen wollte. In diesem Fall bedeutete sein Weg, dass er tapfer versuchte, sich von der allgemeinen Stimmung gegen Julie nicht beeinflussen zu lassen und neutral zu bleiben. Soweit das in einem so kleinen Ort überhaupt ging.

»Was für eine Anzeige?« Julie wurde blass und ging in Gedanken alle möglichen Fehltritte durch, die sie begangen haben könnte. Stimmte ihre Konzession nicht? Hatte sie falsch geparkt? Eine Leitplanke gekratzt? Was hatte sie getan?

Dem Gendarm fiel es sichtlich schwer, die Anschuldigungen ruhig vorzutragen, ohne verlegen zu werden. »Madame, Sie werden beschuldigt, Unzucht zu betreiben und Unzucht zu fördern. Was können Sie dazu sagen?«

Nun war Julie völlig perplex. »Unzucht? Mit wem? Das tue ich nicht. Ich fördere sie auch nicht. Wer kommt denn auf so eine Idee?«

»Dann sind Sie allein in Ihrem Haus?«, fragte der junge Gendarm und lauschte in das Gebäude hinein.

»Nein. Das ist eine Pension, ich habe eine offizielle Bestätigung des Gewerbes vom Bezirksamt. Sie können sie sehen, wenn Sie wollen.«

»Wer wohnt bei Ihnen?«

»Ein alter, kranker Mann. Sonst niemand.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja, ganz sicher. Sie können sich davon überzeugen.«

Sie lud ihn in ihr Haus ein, wo er tatsächlich aufmerksam in jedes leere Zimmer blickte. Beim alten Drut angekommen, zögerte er, öffnete aber dennoch die Tür.

Der alte Mann war nicht allein. Victoria saß an seinem Bett und las ihm aus einem erotischen Roman vor. Glücklicherweise trug sie inzwischen wirklich meistens Hosen, es sei denn der Patient bat sie um eine Sonderkostümierung. Heute stand ihm offenbar nicht der Sinn danach. Das Buch reichte ihm.

»Guten Morgen«, murmelte der Gendarm.

»Guten Morgen«, erwiderte Victoria den Gruß freundlich. Der alte Drut kaute gerade an seinem Brötchen und knurrte daher nur etwas Unverständliches, was man mit viel gutem Willen als einen Morgengruß deuten konnte. Es konnte aber auch heißen, dass der Polizist schleunigst verschwinden sollte.

»Sehen Sie«, sagte Julie mit einem Lächeln, nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte. »Keine Unzucht.«

Der Gendarm nickte, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, tadelnd die Augenbrauen hochzuziehen.

»Es gibt viele Gerüchte über Sie in der Stadt. Ich muss der Sache nachgehen, das erfordert meine Position. Geben Sie sich Mühe, dass sich diese Gerüchte nicht halten.«

»Das tue ich schon, aber ich kann es nicht beeinflussen, was die Leute über mich sagen. Es tut mir leid, wenn Sie umsonst hierherkommen mussten, aber ich kann nichts dafür.«

Der Mann kniff ungehalten die Augen zusammen. »Ich werde Sie im Visier behalten.«

Julie schluckte. »Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Was die anderen über mich reden, hat nichts mit der tatsächlichen Situation zu tun.«

Er antwortete nicht, sondern ging zur Tür. Er berührte mit dem Finger einen Riss in der Farbe und drehte sich tadelnd zur Hausherrin um.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.