Jeansgröße 0 by Brigitte Blobel
Autor:Brigitte Blobel [Blobel, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: Arena
veröffentlicht: 2014-03-12T23:00:00+00:00
9. Kapitel
Untertauchen, das ist es, was ich möchte. Als ich aus Sylt gekommen bin und mich in die Badewanne geflüchtet habe, da habe ich das erste Mal daran gedacht. Was ist, wenn ich einfach untertauche und nicht wieder hochkomme? Wird mich jemand vermissen? Wird es jemandem auffallen, wenn ich nicht mehr da bin?
Da im Bad – da hätte ich es Katharina fast erzählt. Ich weiß nicht, manchmal habe ich das Gefühl, sie würde mich verstehen. Gerade sie könnte mich verstehen.
Wieso bin ich trotzdem so zu ihr?
Ich wünschte, ich könnte weinen.
In ein Schaumbad voller Seifenblasen möchte ich untertauchen. Und nie wieder hochkommen.
Sie stehen im Flur von Katharinas Wohnung, Katharina hat den Daunenanorak ausgezogen und ihre Stiefel und hockt auf dem Fußboden, um sich dicke Wollsocken überzustreifen. Sie hat jetzt ständig kalte Füße. Früher hat sie nie gefroren. Ihre Mutter streichelt über ihren Rücken, ihre Wirbelsäule und zuckt plötzlich zurück.
»Du bist ja so mager geworden! In knapp zwei Monaten! Das ist doch gar nicht möglich!«
»Wieso soll das nicht möglich sein? Schau doch mal in die Zeitschriften, in denen sie Diäten vorstellen – du weißt schon, diese Vorher-Nachher-Geschichten. Nie gesehen? Alles ist möglich.«
»Aber du machst doch keine Diät, oder?«
»Nein, Unsinn.« Katharina dreht den Kopf weg und fügt trotzig hinzu. »Vorhin hast du gemeint, dass ich toll aussehe.«
»Ja. Stimmt. Das hab ich gesagt. Aber da hattest du ja auch noch den dicken Anorak an.« Sie ist plötzlich ganz ernst, gar nicht so lustig wie sonst. Behutsam streicht sie mit den Fingern über Katharinas Wirbelsäule. »So dünn . . .«, murmelt sie besorgt.
Katharina zieht sich am Heizkörper hoch. Sie zupft ihren Pulli zurecht, schaut ihre Mutter an. »Willst du jetzt die Wohnung sehen?«
Aber ihre Mutter hat keinen Blick für die Wohnung, fixiert immer nur Katharina. Ihre Augen gleiten über das Gesicht, den Hals, die Schultern, die Arme . . . Sie ist wirklich erschrocken. Ihre Augen sind weit geöffnet. »Hey, Kathi. Was ist nur mit dir passiert?«
Katharina seufzt. Sie zieht ihre Mutter an der Hand weiter. »Gar nichts ist passiert, Mama. Tu doch nicht so erschrocken! Freu dich lieber, dass ich nicht mehr so fett bin wie früher. Hier ist die Küche.«
Ihre Mutter hat keinen Blick für die Küche. Schaut einmal kurz hin, murmelt etwas, das wie »Aha« klingt, und sagt: »Du warst doch niemals fett!«
»Mami! Ich hab über sechzig Kilo gewogen! Weißt du noch?«
»Na und? Bei deinen 1,68? Du hattest ein ganz normales Gewicht.«
»Und wieso hatte ich dann in der Taille eine Speckrolle?«
»Eine Speckrolle? Sag mal, drehst du jetzt vollkommen durch?«, fragt Katharinas Mutter entgeistert.
»Doch. Wenn ich mich hingesetzt hab.« Katharina zerrt einen Küchenstuhl hervor, setzt sich, fällt in sich zusammen, macht einen runden Rücken, sodass die Haut vorn zusammengeschoben wird. Triumphierend quetscht sie die Haut zwischen ihren Fingern. »Hier! Das war dreimal so dick! Alles Fett! Das ist doch widerlich! Kein Wunder, dass Justus mit mir Schluss gemacht hat.«
Ihre Mutter sagt nichts, steht in der Küche, schaut Katharina nur an, die sich jetzt wieder aufrichtet und den Bauch einzieht.
Katharina kommt sich vor wie auf dem Prüfstand.
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