Japantown by Lancet Barry

Japantown by Lancet Barry

Autor:Lancet, Barry
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2013-10-10T16:00:00+00:00


KAPITEL 41

Er bestand aus fünfzig Kilo poröser Knochen und erschlaffter gelblicher Haut, zusammengehalten von einem italienischen Maßanzug. Ein jämmerliches Bündel Mensch in einem verchromten Rollstuhl, der ihn vollkommen zu verschlucken schien. Seine Hände la-gen unter einem scharlachroten Stofftuch auf seinem Schoß.

Fünfzehn Minuten nach meiner »Verschleppung« war die Limousine an einem neoklassizistischen Haus aus rotem Backstein vorgefahren, erbaut um die vorletzte Jahrhundertwende, und ich wurde an zwei einigermaßen vorzeigbare Sicherheitsleute weitergereicht, die schwarze Anzüge und Seidenkrawatten trugen und nach Rasierwasser rochen. Einer der beiden schob mich in einen hohen, schummrigen Raum mit einer reliefartigen Tapete, edlen Teppichen und einem Samtvorhang, der vom Boden bis zur Decke reichte. Alles in Scharlachrot. Der silberne Kronleuchter an der Decke komplettierte das Ambiente, das sich eindeutig teils an westeuropäischen, teils an russischen Vorbildern orientierte. Die Mächtigen Japans hatten schon vor Generationen ihre Salons entsprechend dem vorherrschenden Geschmack in Paris oder Sankt Petersburg eingerichtet.

»Ich hoffe, Sie entschuldigen, dass es so düster ist«, sagte mein unbekannter Gastgeber. »Helles Licht tut meinen Augen weh.«

Da ich nicht wusste, mit wem ich es zu tun hatte, schwieg ich und schaute mich um. Keine einzige Lampe brannte. Der große Raum wurde lediglich schwach erleuchtet durch ein trübes Licht, das durch ein nach Norden gerichtetes, auf einen schattigen Felsgarten hinausgehendes Fenster hereinfiel. Ich hatte mitternächtliche Stromausfälle erlebt, bei denen es heller gewesen war.

»Bitte, setzen Sie sich doch, Brodie-san.«

»Danke. Äh … verzeihen Sie, ich kenne Ihren Namen nicht.«

»Alles zu seiner Zeit.«

Obwohl ausweichende Antworten typisch waren für Männer dieses Schlags, missfiel mir die Bemerkung. Sie war verfänglich und kündete ein wenig fruchtbares Treffen an. Widerwillig setzte ich mich auf der anderen Seite des Raumes in einen Polstersessel, die einzige Sitzgelegenheit ohne Räder in dem weitläufigen Salon. Zwischen uns stand ein übergroßer Tisch, dessen Funktion zweifellos darin bestand, dass man Abstand hielt. Ich versuchte eine klarere Sicht auf den Mann zu erlangen, doch meine Augen gewöhnten sich nur schlecht an das Zwielicht.

»Ich möchte mich für meine überstürzte Einladung entschuldigen. Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Saft? Kaffee, Bier, Whisky?«

Zwei weibliche Bedienstete kamen hereingeschwebt, warteten auf meine Antwort. Sie trugen teure Seidenkimonos, ihr Auftreten war beflissen, doch mangelte es ihnen ein wenig an der natürlichen Anmut, die die Besten ihrer Zunft auszeichnete.

»Nichts, vielen Dank.«

Die Frauen verneigten sich und zogen sich zurück, während die parfümierten Leibwächter weiterhin auf ihren Posten bei den Ausgängen auf beiden Seiten des Salons blieben. Ohne Erlaubnis würde ich nirgendwo hingehen können.

»Es heißt, Sie beherrschen unsere Sprache«, sagte der alte Mann. »Kennen Sie das Sprichwort No aru taka was tsume o kukusu?«

»Der kluge Adler verbirgt seine Krallen? Ja, kenne ich.«

»Gut. Denn genau darüber möchte ich mit Ihnen sprechen.«

Das Sprichwort gibt die Lebenseinstellung vieler Menschen in Japan wieder: Zeig nie deine wahre Macht. Eine gesichtslose Gestalt im Schatten zu sein gilt als eine Position der Stärke. So geht man hierzulande nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Rest der Welt um. Diese Haltung hat den zusätzlichen Vorteil, dass man schwer angreifbar ist. Unsichtbare Ziele lassen sich kaum ins Visier nehmen. Die einflussreichsten Männer in



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